Über das poetische Genie. 
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vom Mittelpunkte absteht, desto breiter laufen ihm dessen Radien auseinander; 
und ein dumpfer hohler Polyp müßte, wenn er sich ausspräche, mehr Wider¬ 
sprüche in der Schöpfung finden als alle Seefahrer. 
Und so findet man denn bei dem Volke innere und äußere Welt, Zeit 24 
und Ewigkeit als sittliche oder christliche Antithese — bei dem Philosophen 
als fortgesetzten Gegensatz, nur mit wechselnder Vernichtung der einen Welt 
durch die andere — bei dem bessern Menschen als wechselndes Verfinstern, 
wie zwischen Mond und Erde herrscht; bald ist am Januskopfe des Menschen, 
welcher nach entgegengesetzten Welten schauet, das eine Augenpaar, bald das 
andere zugeschlossen oder zugedeckt. 
Wenn es aber Menschen giebt, in welchen der Instinkt des Göttlichen 25 
deutlicher und lauter spricht als in anderen; — wenn er in ihnen das Irdische 
anschauen lehrt (anstatt in andern das Irdische ihn); — wenn er die Ansicht 
des Ganzen giebt und beherrscht: so wird Harmonie und Schönheit von beiden 
Welten widerstrahlen und sie zu einem Ganzen machen, da es vor dem 
Göttlichen nur eines und keinen Widerspruch der Teile giebt. Und das ist 
der Genius; und die Aussöhnung beider Welten ist das sogenannte Ideal. 
Nur durch Himmelskarten können Erdkarten gemacht werden; nur durch 
den Standpunkt von oben herab (denn der von unten hinauf schneidet ewig 
den Himmel mit einer breiten Erde entzwei) entsteht uns eine ganze Himmels¬ 
kugel, und die Erdkugel selber wird zwar klein, aber rund und glänzend darin 
schwimmen. Daher kann das bloße Talent, das ewig die Götterwelt zum 
Nebeuplaneten oder höchstens zum Saturnring einer erdigen Welt erniedrigt, 
niemals ideal runden und mit dem Teil kein All ersetzen und erschaffen. 
Wenn die Greise der Prosa uns die Armut, den Kampf mit dem bürger¬ 
lichen Leben oder dessen Siege sehen lassen, so wird uns so eng und bang 
bei dem Gesicht, als müßten wir die Not wirklich erleben; und in der That 
erlebt man ja doch das Gemälde und dessen Wirkung; und so fehlt immer 
ihrem Schmerze ein Himmel und sogar ihrer Freude ein Himmel. Sogar 
das Erhabene der Wirklichkeit treten sie platt, z. B. (wie Leichenpredigten 
zeigen) das Grab, nämlich das Sterben, dieses Verleben zwischen zwei 
Welten, und so die Liebe, die Freundschaft. Man begegne wenigstens in dem 
Wundfieber der Wirklichkeit ihnen nicht, die mit dem Wundpinsel ihrer Dicht¬ 
prosa ein neues ins alte impfen, und durch deren Poesien echte nötig 
werden, um die falsche nur zu verschmerzen. 
Wenn hingegen der Genius uns über die Schlachtfelder des Lebens führt: 26 
so sehen wir so frei hinüber, als wenn der Ruhm oder die Vaterlandsliebe 
vorausginge mit den zurückflatternden Fahnen; und neben ihm gewinnt die 
Dürftigkeit wie vor einem Paar Liebenden eine arkadische Gestalt. Überall
	        
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