Full text: Sagen und Geschichten (Teil 1)

Lasters entgegen, und jede forderte ihn auf, ihr zu folgen. Er 
reichte der ersteren die Hand und ließ sich von ihr durch ein 
Leben voll Mühen und Gefahren, aber auch voll Ehre und Ruhm 
bei Göttern und Menschen geleiten. Auf ihren Rat befragte er 
das delphische Orakel, was er zu thun habe, und dies gebot ihm, 
sich in den Dienst seines feigen Vetters, des Königs Enrystheus 
von Mycene zu begeben. Enrystheus legte ihm zwölf schwere 
Arbeiten auf, die Herkules sämtlich glücklich bestand, und durch 
deren Bewältigung er der geprtesenste Wohlthäter des griechischen 
Volkes wurde. Er erschlug den nemeischen Löwen, der ganz Ar- 
golis verwüstete, und hing sich dessen undurchdringliches Fell um 
die Schultern. Er tötete die lernäische Schlange oder Hydra, 
welche hundert Köpfe hatte, die immer wieder von neuem wuchsen, 
indem er durch seinen Freund Jolaus einen nahen Wald anzün¬ 
den ließ und die glühenden Stämme auf die Wunden des Scheu¬ 
sals drückte. Er jagte die der Göttin Artemis geweihte Hindin, 
welche kein Pfeil einzuholen vermochte, bis sie erschöpft zu Boden 
sank. Er brachte einen Eber, der am Berge Erymanthus große 
Verheerungen anrichtete, lebendig nach Mycene, worüber Enrystheus 
so erschrak, daß er sich in ein Faß verkroch. Er leitete die Flüsse 
Alpheus und Peneus in den Stall des Königs Augias von Elis 
und reinigte diesen dadurch von dem Miste, welchen 3000 Rinder 
seit 30 Jahren dort aufgehäuft hatten. Er vertilgte die mit ehernen 
Schnäbeln, Flügeln und Krallen versehenen stymphalifchen Vögel, 
welche Menschen und Vieh mit in die Lüfte nahmen und auf 
den Felsen verzehrten. Er fing einen wütenden Stier, der die 
Insel Kreta in Schrecken versetzte, und führte ihn gefeffelt nach 
Mycene. Er bändigte die Rosse des thracifchen Königs Diome- 
des, welche mit Menfchenfleifch gefüttert wurden unb von unbe¬ 
zähmbarer Stärke waren. Er besiegte bie Amazonen, ein Volk 
kriegerischer Weiber, tötete deren Königin Hippolyte und raubte 
ihren kostbaren Gürtel für die Tochter des Enrystheus. Er holte 
von ber Insel Erythia bie Rinber bes Geryon, ber brei Leiber, 
sechs Arme unb sechs Füße hatte unb seine Herben durch einen 
großen zweiköpfigen Hund bewachen ließ. Er suchte den Riesen 
Atlas auf und trug während der Zeit, daß dieser für ihn die 
goldenen Apfel aus den Gärten der Hesperiden pflückte, das 
Himmelsgewölbe. Er brachte den Höllenhund Cerberus, bei* ben 
Eingang zum Reiche ber Schatten hütete, auf bie Oberwelt. 
Die übermäßigen Anstrengungen, welche ihm Enrystheus zu¬ 
gemutet hatte, verursachten bem Helben ein Fieber, bas sich bis 
zur Raserei steigerte. In biesem Zustaube plünberte er bas 
Heiligtum zu Delphi, wofür er sich abermals auf brei Jahre in 
Dienstbarkeit begeben mußte. Er ging zu ber Königin Omphale 
von Lybien, wo er wieber eine Reihe glänzenber Heldenthaten 
verrichtete, zuletzt aber in Weichlichkeit versank, Weiberkleider an-
	        
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