Full text: Sagen und Geschichten (Teil 1)

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Lager von den Siegern erstürmt würde. Die letzteren wagten 
indes kaum einen Angriff, ja sie hielten es nicht für unmöglich, 
in ihren eigenen Stellungen überrumpelt zu werden, und ver¬ 
brachten deshalb die ganze Nacht unter den Waffen. Als am 
Morgen die Sonne aufging, beschien sie ein weites Leichenfeld, 
über das Ströme vergossenen Blutes dahinflössen, und das in 
schauerlicher Weise belebt wurde durch das Gestöhn der Verwun¬ 
deten und Sterbenden. Weder der eine noch der andere Teil, 
durch die furchtbarsten Verluste geschwächt, dachte an eine Er¬ 
neuerung der Schlacht; aber die Geister der Erschlagenen sollen 
nach dem Glauben des Volkes noch drei Tage lang in den Lüf¬ 
ten fortgekämpft haben. Nachdem die Westgoten ihren gefallenen 
Heldenkönig unter heißen Thränen und stolzen Siegesliedern im 
Angesichte des Feindes bestattet, zogen sie, mit Thorismuud an 
der Spitze, nach ihrer Heimat im südlichen Gallien ab. Bald 
darauf trat auch Attila seinen Rückzug nach Ungarn an, wo er 
zwei Jahre später eines plötzlichen Todes starb. 
29. Bonifacius. 
Die meisten Sendboten des Evangeliums kamen dem heidni¬ 
schen Deutschland von den britischen Inseln. Der bedeutendste 
unter ihnen war Winfried, der wegen seiner ausgebreiteten Wirk¬ 
samkeit der „Apostel der Deutschen" genannt wird. Er entstammte 
einer angesehenen englischen Familie und hätte wohl in einer 
weltlichen Laufbahn sein Glück machen können. Aber voll von 
dem Verlangen, Menschen zu Christo zu führen, widmete er sich 
dem geistlichen Stande und ging, einige dreißig Jahre alt, übers 
Meer, um das Licht des Glaubens in die dunkeln Wälder Ger¬ 
maniens zu tragen. Predigend wanderte er von Gau zu Gau, 
und seine Bemühungen waren von so viel Erfolg begleitet, daß 
ihn der römische Papst zum Bischof erhob und ihm den Ehren¬ 
namen Bonifacius d. i. Wohlthäter beilegte. 
Bei Geismar in Hessen stand eine uralte Eiche, welche dem 
Donnergotte geweiht war. Der Baum galt als besonders heilig, 
und von nah und fern wallfahrtete man zu ihm. Aber niemand 
wagte ihn zu berühren, aus Furcht, durch einen Blitzstrahl zer¬ 
schmettert zu werden. Da erbot sich Bonifacius, den Waldriesen 
zu fällen, und das Volk erteilte ihm die Erlaubnis, den Versuch 
zu machen. Mit fester Hand legte er die Axt an die Wurzel, 
während eine Menge Heiden seinem Beginnen zuschauten und 
jeden Augenblick das Strafgericht des Donnerers erwarteten. 
Doch was sie gehofft, geschah nicht, vielmehr stürzte der 
Baum unter den Schlügen des Glaubenshelden zu Boden, daß 
er in vier Stücke zersplitterte. Ein lauter Ruf des Schreckens
	        
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