Full text: Von der Völkerwanderung bis zum Ausgange des Mittelalters (Teil 3)

56 Von Konrad I. bis zum Untergange der Hohenstaufen. 
schuf dem Könige sein Zerwürfnis mit betn Oberhaupt der Christenheit. In 
die Kirche war durch die Wahl des einer toskanischen Bauernfamilie ent¬ 
stammenden Mönchs Hildebrand zum Papst Gregor VII. ein strengerer 
Geist eingezogen. Das Jahr 1076 bezeichnet diesen Wendepunkt. Reform 
der Kirche im Sinne des strengen Klosters Cluny ward jetzt die Losung*). 
Der Staat, d. h. das Königtum, sollte sich in die kirchlichen Angelegen¬ 
heiten nicht mehr einmengen; der deutsche Klerus sollte ebenso wie der 
italienische seine feste Stütze im Papsttum sehen, auch die deutschen 
Bischöfe sollten vom Papst und nicht mehr vom König ernannt werden. 
Die Einsetzung geistlicher Würdenträger in ihre Stellen durch weltliche 
Herren (Laieninvestitur) wurde bekämpft. Für die Erlangung 
geistlicher Stellen sollte der König, wie das seit Konrad II. Brauch 
geworden war, keine Geldabgabe fordern dürfen. Diesen Schacher,. 
„Simonie" genannt (nach der Figur des falschen Apostels „Simon 
Magus" in der Apostelgeschichte, der von den echten Jüngern die Gabe 
der Weissagung durch Geld erlangen wollte), wünschte Gregor völlig zu 
beseitigen, und um die Geistlichen von aller Belastung mit Familien¬ 
sorgen und häuslich-privaten Interessen frei zu halten, verordnete er 
die Ehelosigkeit der Priester, das Zölibat, das noch heute zu den 
festen Grundsätzen der römisch-katholischen Kirche gehört. Heinrich IV. 
trat, weil er sich in seinen deutschen Interessen durch Gregor bedroht 
fand, in den Kampf ein — aber er war ihm nicht gewachsen, und das 
nächste Ergebnis desselben war für ihn die persönliche Demütigung im 
Büßergewande in dem italienischen Schloß Kanossa. 
In dieses Schloß, das der Markgräfin Mathilde gehörte, ber 
reichsten Erbin in ganz Italien, bie ihr Leben vollstänbig ber Kirche ge¬ 
weiht hatte, flüchtete Papst Gregor, als er bie Kunbe von Heinrichs 
Ankunft in Italien vernahm. Papst unb König hatten sich gegenseitig 
schwer beleibigt, Bannstrahl unb Absetzung gegeneinander geschleudert 
Die beutschen, mit Heinrichs Regierung unzufriebenen Fürsten aber 
verlangten, ber König müsse binnen Jahresfrist Lossprechung vom 
Bann bewirken-, anbernfalls sie zu einer neuen Wahl schreiten würben. 
In bieser Not erwuchs bem angefeinbeten unb bebrängten König ein 
Bunbesgenosse in ber stäbtischen Bevölkerung ber Rhein- unb Main- 
gegenb. Den Stäbter, ben Bürger, ben Kaufmann, ber gerabe anfing, 
sich neben bem ritterlichen unb bem geistlichen Staube eine Stellung 
*) Das Kloster Cluny in der südöstlichen Bourgogne (lateinisch: Climi- 
acum) strebte eine sittliche Hebung der Geistlichkeit an und zugleich die 
Stärkung der päpstlichen Alleinherrschaft in der Kirche (Hierarchie). Tie Grund¬ 
sätze der pfeudoisidorischen Dekretalen machten die Äbte von Cluny (vgl. S. 39) 
zum Ausgang ihrer Reformarbeit.
	        
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