Full text: Von der Reformation bis zum Tode Friedrichs des Großen (Teil 4)

Der Nordische Krieg, ' 137 
Bei dem Bestreben des Zaren, seine in der Fremde gesammelten 
Erfahrungen für die Landeskinder nutzbar zu machen, ging es nicht 
ohne Kämpfe ab. Früher durfte keine russische Frau in die Gesellschaft 
von Männern kommen. Um ungezwungene gesellschaftliche Zusammen- 
künfte zu' ermöglichen, um die Damen zu veranlassen, ihre alther- 
gebrachte Zurückgezogenheit aufzugeben, wurden Ukase (Verordnungen) 
erlassen, worin allen Frauen und jungen Mädchen anbefohlen wurde, im 
Salon, in Gesellschaften zu erscheinen, zu plaudern, zu lachen und zu 
tanzen. Wo dieser Befehl des Zaren mißachtet wurde, trat unbarmherzig 
die Knute in ihre Rechte. Zu lange Gewänder wurden von der Polizei 
öffentlich auf dem Marktplatze gekürzt; das altrussische Manneskleid 
wurde zum Tode verurteilt und durch französische und ungarische 
Trachten ersetzt. Selbst dem Barte wurde der Krieg erklärt, und 
alle Widerspenstigen, die auf ihren Mannesschmuck nicht verzichten 
wollten, mit 100 Rubel in Steuer genommen. An den Kirchentüren 
wurden Soldaten aufgestellt, die allen Passanten ohne weiteres den 
Bart abschnitten. Die Muschiks (Bauern) waren gehorsamer als die 
adeligen Herren: sie ließen sich den Bart scheren; aber sorgsam bewahrten 
sie die abgeschnittenen Haare, damit sie ihnen nach ihrem Tode in den 
Sarg gelegt werden könnten, denn vor St. Nikolaus, ihrem Schutz- 
heiligen, wollten sie mit dem gebührenden Respekt erscheinen. 
Diese gewaltsame Zivilisation berührte selten den inneren Kern 
des Menschen, Peter selbst blieb in vielen seiner Anschauungen und 
Gewohnheiten noch ein Barbar, der seinen Leidenschaften keinen Zügel 
anlegte. Eine seiner Hauptsorgen war die Entwicklung des See- 
Handels, denn er erkannte sehr richtig und klar, daß erst dieser 
seinem ausgedehnten Reiche inneres Leben geben konnte. Die Ostsee 
beherrschte damals Schweden. Die zunächst gelegenen Küstenländer 
an sich zu reißen, war der große Plan Peters, und der Augenblick 
dazu erschien äußerst günstig gewählt, denn die Jugend und Uner- 
fahrenheit des Schwedenkönigs Karls XII., der in einem Alter von 
fünfzehn Jahren den Thron bestiegen hatte (1697 bis 1718), ließ 
keinen starken Gegner vermuten. 
Dänemark, Polen und Rußland schlössen ein Bündnis, nach 
welchem sie über den königlichen Knaben herfallen und sich in seine 
Länder teilen wollten. Karl, in dem die Gegner sich vollständig 
verrechnet hatten, brach sogleich nach Dänemark auf, belagerte die 
Hauptstadt Kopenhagen und jagte dem Könige einen solchen Schrecken 
ein, daß er noch in demselben Jahre (1700) Frieden schloß. Nachdem 
er den ersten Feind zur Ruhe gebracht hatte, ging er rasch auf den zweiten, 
die Russen, los, welche achtzigtausend Mann stark, die Festung Narwa
	        
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