Object: Geschichte der neueren und neuesten Zeit (Theil 3)

151 
Ende des fünfzehnten Jahrhunderts machte Johann von Dalberg 
als pfälzischer Kanzler die Universität Heidelberg zum Sammelplatz 
der in Italien für die neue Bildung und Literatur gewonnenen Männer. 
Ec zog ausgezeichnete Gelehrte nach Heidelberg uub stiftete nach Art 
der italienischen Akademien die sogenannte rheinische Gesellschaft. 
Unter den Männern, welche sich an Dalberg anschlössen, muß namentlich 
Rudolf Agricola erwähnt werden. Ec hat besonders die Methode 
und Erziehungskunst studirt und galt im sechzehnten Jahrhundert für einen 
Mann, der neben Erasmus von Rotterdam, Johann Reuchlin 
und Philipp Melanchthon für die Reformation der Schulen und des 
nach Luthers Zeit durch die Protestanten verbreiteten Studiums der 
Humanitäts-Wissenschaften das Meiste geleistet hat. Auch Konrad 
Celte8 ist wegen der von ihm in den verschiedensten Gegenden von 
Deutschland angeregten neuen geistigen Bestrebungen merkwürdig. 
Während die Beschäftigung mit der Wiffenschaft und Kunst der Al¬ 
ten in Italien ein Zeitvertreib der Vornebmen und Reichen war und in 
Frankreich die königliche Freigebigkeit in Anspruch nahm, erleichterte sie 
in Deutschland den gedrückten edlen Seelen ihre Armutb. Das Grübeln, 
daß Sainmeln und die Freude am stillen Forschen haben dem deutschen 
Volke oft den Spott seiner Nachbarn zugezogen; aber die Geistlichen und 
Schullehrer dieser Zeit fanden in den Studien selbst ihre Befriedigung 
und machten nicht Ansprüche, welche nicht hätten befriedigt werden können, 
ohne das Volk zu bedrücken. Ist doch Luther nach Augsburg zum Kar¬ 
dinal Cajetan, vor welchem er dort in einem geliehenen Kleide erschien, 
zu Fuß und nach Worms in einer Art Bauernkarren gereist. Auch Me¬ 
lanchthon, der durch seinen Vetter Reuchlin den höheren und reicheren 
Klaffen angehörte, machte bei seinem ersten Auftreten in Wittenberg durch 
seine dürftige und. unansehnliche Erscheinung sogar auf Luther einen sehr 
unangenehmen Eindruck Die deutschen Gelehrten wollten nicht, wie die 
Italiens und Frankreichs, große und glänzende, den Staat belastende 
Anstalten gründen; sie wollten vielmehr durch gelehrte Schulen die geistige 
und sittliche Bildung unter dem Mittelstände und durch diesen im Volke 
verbreiten. Dies ist gelungen, und Deutschland zeichnet sich vor allen 
Ländern Europa'ß dadurch aus, daß auch der Geringste und Aermfte zur 
höchsten Bildung gelangen kann. Wir erhielten keine vornehmen Aka 
demien; aber Gymnasien und Volksschulen, welche sich wie ein Netz über 
Deutschland ausbreiteten, sind das segensreiche, wenngleich minder glän¬ 
zende Ergebniß von der Thätigkeit der Humanisten. In Deutschland galt 
es nicht, wie in Italien, eine gebildete Aristokratie zu idealem Aufschwünge 
fortzureißen, sondern vermittelst der neuen Bildung das tiefgesunkene Volk 
zu erheben. Die italienischen Humanisten glaubten, mit Plato über dem 
Christentbume zu stehen, sie waren eitel genug, auch die Scheinweisheit 
und die sittlichen Gebrechen des Alterthums anzunehmen. In Deutsch¬ 
land führte die gewonnene Einsicht zur Prüfung alles dessen, was bis 
dahin dem Menschen seine heiligsten Güter entzogen hatte. Man lernte 
zunächst nicht des Homer, sondern der Bibel wegen Griechisch und gab 
dem Hebräischen gleiche Geltung. Tübingen, Wittenberg, Heidel¬ 
berg und Prag waren im sechzehnten Jahrhundert nach einander die 
Hauptsitze und Pflanzschulen deutscher Wiffenschaft, und wie für die Re¬ 
ligionsstreitigkeiten, so sind auch für die Bildung des deutschen Volkes
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.