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Ende des fünfzehnten Jahrhunderts machte Johann von Dalberg
als pfälzischer Kanzler die Universität Heidelberg zum Sammelplatz
der in Italien für die neue Bildung und Literatur gewonnenen Männer.
Ec zog ausgezeichnete Gelehrte nach Heidelberg uub stiftete nach Art
der italienischen Akademien die sogenannte rheinische Gesellschaft.
Unter den Männern, welche sich an Dalberg anschlössen, muß namentlich
Rudolf Agricola erwähnt werden. Ec hat besonders die Methode
und Erziehungskunst studirt und galt im sechzehnten Jahrhundert für einen
Mann, der neben Erasmus von Rotterdam, Johann Reuchlin
und Philipp Melanchthon für die Reformation der Schulen und des
nach Luthers Zeit durch die Protestanten verbreiteten Studiums der
Humanitäts-Wissenschaften das Meiste geleistet hat. Auch Konrad
Celte8 ist wegen der von ihm in den verschiedensten Gegenden von
Deutschland angeregten neuen geistigen Bestrebungen merkwürdig.
Während die Beschäftigung mit der Wiffenschaft und Kunst der Al¬
ten in Italien ein Zeitvertreib der Vornebmen und Reichen war und in
Frankreich die königliche Freigebigkeit in Anspruch nahm, erleichterte sie
in Deutschland den gedrückten edlen Seelen ihre Armutb. Das Grübeln,
daß Sainmeln und die Freude am stillen Forschen haben dem deutschen
Volke oft den Spott seiner Nachbarn zugezogen; aber die Geistlichen und
Schullehrer dieser Zeit fanden in den Studien selbst ihre Befriedigung
und machten nicht Ansprüche, welche nicht hätten befriedigt werden können,
ohne das Volk zu bedrücken. Ist doch Luther nach Augsburg zum Kar¬
dinal Cajetan, vor welchem er dort in einem geliehenen Kleide erschien,
zu Fuß und nach Worms in einer Art Bauernkarren gereist. Auch Me¬
lanchthon, der durch seinen Vetter Reuchlin den höheren und reicheren
Klaffen angehörte, machte bei seinem ersten Auftreten in Wittenberg durch
seine dürftige und. unansehnliche Erscheinung sogar auf Luther einen sehr
unangenehmen Eindruck Die deutschen Gelehrten wollten nicht, wie die
Italiens und Frankreichs, große und glänzende, den Staat belastende
Anstalten gründen; sie wollten vielmehr durch gelehrte Schulen die geistige
und sittliche Bildung unter dem Mittelstände und durch diesen im Volke
verbreiten. Dies ist gelungen, und Deutschland zeichnet sich vor allen
Ländern Europa'ß dadurch aus, daß auch der Geringste und Aermfte zur
höchsten Bildung gelangen kann. Wir erhielten keine vornehmen Aka
demien; aber Gymnasien und Volksschulen, welche sich wie ein Netz über
Deutschland ausbreiteten, sind das segensreiche, wenngleich minder glän¬
zende Ergebniß von der Thätigkeit der Humanisten. In Deutschland galt
es nicht, wie in Italien, eine gebildete Aristokratie zu idealem Aufschwünge
fortzureißen, sondern vermittelst der neuen Bildung das tiefgesunkene Volk
zu erheben. Die italienischen Humanisten glaubten, mit Plato über dem
Christentbume zu stehen, sie waren eitel genug, auch die Scheinweisheit
und die sittlichen Gebrechen des Alterthums anzunehmen. In Deutsch¬
land führte die gewonnene Einsicht zur Prüfung alles dessen, was bis
dahin dem Menschen seine heiligsten Güter entzogen hatte. Man lernte
zunächst nicht des Homer, sondern der Bibel wegen Griechisch und gab
dem Hebräischen gleiche Geltung. Tübingen, Wittenberg, Heidel¬
berg und Prag waren im sechzehnten Jahrhundert nach einander die
Hauptsitze und Pflanzschulen deutscher Wiffenschaft, und wie für die Re¬
ligionsstreitigkeiten, so sind auch für die Bildung des deutschen Volkes