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ernährten sich von Raub und Diebstahl; über eine Million trieb sich bettelnd
im Lande umher. Roheit und Unsittlichkeit nahmen immer mehr zu. Ein
tiefes Mißvergnügen grollte erst leise, dann lauter und lauter durch das Land.
Die ungeheure Schuldenlast, der unerträgliche Steuerdruck, der erschütterte
Glaube an Gott, die eingerissene Sittenverderbnis, die gewaltsame Bedrückung
der Bürger und Bauern, die Bevorzugung des Adels und der Geistlichkeit,
der Ruf nach Freiheit und Gleichheit — dies alles wirkte zusammen, eine
blutige Revolution vorzubereiten. Sie kam zum Ausbruche unter der Regie¬
rung Ludwigs XVI. ,
2. Ausbruch. Ludwig XVI. war 20 Jahre alt, als er 1774 seinem
Großvater in der Regierung folgte. Als man ihm den Tod desselben meldete,
rief er aus: „O Gott, nun beginnt mein Unglück!" Er war wohlwollend gegen
sein Volk und siltenrein, aber viel zu schwach, um in so schwerer Zeit den Staat
leiten zu können. Er mußte büßen, was seine Vorfahren gesündigt hatten. Als
die Schulden so groß geworden waren, daß niemand dem Staate mehr Geld borgen
wollte, berief der König auf den Rat seines Finanzministers Necker die Reichs¬
stände, die Vertreter des Volkes, nach Versailles, 300 aus dem Adel, 300
aus der Geistlichkeit und 600 aus dem Bürger- und Bauernstande. Sie
sollten über die Mittel zur Besseruug der Zustäude beraten. Viele Glieder
des dritten Standes, der Bürger und Bauern, waren mit tiefem Groll gegen
den König und alle Reichen und Mächtigen erfüllt. Als nun die Vertreter
des Adels und der Geistlichkeit nicht mit ihnen zusammen tagen wollten, da
gewannen diese Unzufriedenen des dritten Standes bald die Oberhand und
erklärten sich als unabhängige Nationalversammlung. Sie schwuren, sich
nicht eher zu trennen, als bis sie dem Lande eine neue Verfassung gegeben
hatten. Als nun der König einige Regimenter Soldaten nach Versailles be¬
fahl, da bemächtigte sich eine ungeheure Aufregung der Pariser, denn man
glaubte, er wolle die Versammlung auflösen. Scharen rohen Gesindels durch¬
zogen lärmend die Straßen; die Sturmglocken wurden geläutet und die Werk¬
stätten der Waffenschmiede geplündert. Am 14. Juli 1789 drang der Pöbel
in das Jnvalidenhaus, ein altes Zeughaus, raubte 30000 Gewehre und einige
Kanonen, bewaffnete sich damit und rückte nun nach der Baftille, dem alten
Staatsgefängnisse Frankreichs. Die alte, düstere Burg, den Parisern schon
immer verhaßt, weil mancher Gefangene jahrelang schuldlos darin geschmachtet
hatte, wurde erstürmt und geschleift; der Befehlshaber und sieben Mann von
der Wache fielen als Opfer der Volkswut, und ihre Köpfe wurden auf langen
Stangen durch die Stadt getragen. Das war die erste blutige That der
Revolution. Bald folgten andere Grausamkeiten. Der Bürgermeister und viele
Adelige wurden ermordet; in den Provinzen erstürmten die Bauern die Schlösser
des Adels, und viele vom Adel, auch die königlichen Prinzen, wanderten aus
in andere Länder, um wenigstens ihr Leben zu retten. Ihre Güter wurden
als Nationalgüter verkauft.
3. Neuerungen. Bald fing die Nationalversammlung an, alte Übel-
stande zu verbessern. Dabei suchte sie auf einmal umzustürzen, was nur nach
uud nach hätte geändert werden können. Zuerst mußte der Adel auf die
Frondienste und Abgaben der Bauern, auch auf die alleinige Ausübung des
Jagdrechts verzichten. Der Geistlichkeit wurde der „Zehnten" nicht mehr
entrichtet; bie Kirchengüter (im Werte von 2000 Millionen Franken) wurden