Full text: Vaterländische Geschichtsbilder

— 159 — 
ernährten sich von Raub und Diebstahl; über eine Million trieb sich bettelnd 
im Lande umher. Roheit und Unsittlichkeit nahmen immer mehr zu. Ein 
tiefes Mißvergnügen grollte erst leise, dann lauter und lauter durch das Land. 
Die ungeheure Schuldenlast, der unerträgliche Steuerdruck, der erschütterte 
Glaube an Gott, die eingerissene Sittenverderbnis, die gewaltsame Bedrückung 
der Bürger und Bauern, die Bevorzugung des Adels und der Geistlichkeit, 
der Ruf nach Freiheit und Gleichheit — dies alles wirkte zusammen, eine 
blutige Revolution vorzubereiten. Sie kam zum Ausbruche unter der Regie¬ 
rung Ludwigs XVI. , 
2. Ausbruch. Ludwig XVI. war 20 Jahre alt, als er 1774 seinem 
Großvater in der Regierung folgte. Als man ihm den Tod desselben meldete, 
rief er aus: „O Gott, nun beginnt mein Unglück!" Er war wohlwollend gegen 
sein Volk und siltenrein, aber viel zu schwach, um in so schwerer Zeit den Staat 
leiten zu können. Er mußte büßen, was seine Vorfahren gesündigt hatten. Als 
die Schulden so groß geworden waren, daß niemand dem Staate mehr Geld borgen 
wollte, berief der König auf den Rat seines Finanzministers Necker die Reichs¬ 
stände, die Vertreter des Volkes, nach Versailles, 300 aus dem Adel, 300 
aus der Geistlichkeit und 600 aus dem Bürger- und Bauernstande. Sie 
sollten über die Mittel zur Besseruug der Zustäude beraten. Viele Glieder 
des dritten Standes, der Bürger und Bauern, waren mit tiefem Groll gegen 
den König und alle Reichen und Mächtigen erfüllt. Als nun die Vertreter 
des Adels und der Geistlichkeit nicht mit ihnen zusammen tagen wollten, da 
gewannen diese Unzufriedenen des dritten Standes bald die Oberhand und 
erklärten sich als unabhängige Nationalversammlung. Sie schwuren, sich 
nicht eher zu trennen, als bis sie dem Lande eine neue Verfassung gegeben 
hatten. Als nun der König einige Regimenter Soldaten nach Versailles be¬ 
fahl, da bemächtigte sich eine ungeheure Aufregung der Pariser, denn man 
glaubte, er wolle die Versammlung auflösen. Scharen rohen Gesindels durch¬ 
zogen lärmend die Straßen; die Sturmglocken wurden geläutet und die Werk¬ 
stätten der Waffenschmiede geplündert. Am 14. Juli 1789 drang der Pöbel 
in das Jnvalidenhaus, ein altes Zeughaus, raubte 30000 Gewehre und einige 
Kanonen, bewaffnete sich damit und rückte nun nach der Baftille, dem alten 
Staatsgefängnisse Frankreichs. Die alte, düstere Burg, den Parisern schon 
immer verhaßt, weil mancher Gefangene jahrelang schuldlos darin geschmachtet 
hatte, wurde erstürmt und geschleift; der Befehlshaber und sieben Mann von 
der Wache fielen als Opfer der Volkswut, und ihre Köpfe wurden auf langen 
Stangen durch die Stadt getragen. Das war die erste blutige That der 
Revolution. Bald folgten andere Grausamkeiten. Der Bürgermeister und viele 
Adelige wurden ermordet; in den Provinzen erstürmten die Bauern die Schlösser 
des Adels, und viele vom Adel, auch die königlichen Prinzen, wanderten aus 
in andere Länder, um wenigstens ihr Leben zu retten. Ihre Güter wurden 
als Nationalgüter verkauft. 
3. Neuerungen. Bald fing die Nationalversammlung an, alte Übel- 
stande zu verbessern. Dabei suchte sie auf einmal umzustürzen, was nur nach 
uud nach hätte geändert werden können. Zuerst mußte der Adel auf die 
Frondienste und Abgaben der Bauern, auch auf die alleinige Ausübung des 
Jagdrechts verzichten. Der Geistlichkeit wurde der „Zehnten" nicht mehr 
entrichtet; bie Kirchengüter (im Werte von 2000 Millionen Franken) wurden
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.