Full text: Vaterländische Geschichtsbilder

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Charlotte notwendig eines neuen Kleides bedurfte, schickte ihr der König 5 Thaler mit 
dem Bemerken, mehr habe er nicht. Am 1. November 1808 räumten endlich die letzten 
feindlichen Truppen das Land, und im Dezember zogen unter unendlichem Jubel der 
Bevölkerung wieder preußische Truppen in Berlin ein. Dieses Elend der Franzosenzeit 
aber wurde ein guter Lehrmeister für Preußen. Man merkte, daß die Niederlage nur 
durch die alten, verrotteten Zustände in Heer und Verwaltung herbeigeführt worden war, 
und sann auf Abhilfe. 
1. Umgestaltung des Heerwesens. Da die Armee bis auf wenige tausend 
Mann aufgelöst war, so galt es, sie neu zu ordnen und einzurichten. Der 
eigentliche Reformator des Heeres war General Scharnhorst, der von Gnei- 
fenau eifrig unterstützt wurde. Zuerst wurden alle Anführer und Offiziere 
bestraft und entlassen, welche sich feige und unfähig erwiesen hatten. An die 
Spitze der Truppen traten tapfere, unerschrockene Männer, die auch im Un¬ 
glücke den Kops nicht verloren, z. B. Blücher, Gneisenau, Iork u. a. Bisher 
waren die Offiziere nur aus dem Adel genommen worden. Jetzt sollte ohne 
Rücksicht auf Geburt jeder Soldat, der sich durch Tüchtigkeit auszeichnete, 
Offizier werden können. Die gemeinen Soldaten waren bisher geworbene 
Söldner, meist Ausländer, die keine Liebe zu König und Vaterland besitzen 
konnten. Scharnhorst führte nun die allgemeine Wehrpflicht ein, d. h. 
jeder erwachsene Preuße, der körperlich gesund und tüchtig war, mußte Soldat 
werden. Damit hörte der Soldatenstaud auf, ein verachteter zu sein; den 
bunten Rock seines Königs zu tragen, galt fortan als Ehre. So vertraute 
der Staat den Schutz des Vaterlandes seinen eigenen Söhnen an, das ganze 
Volk wurde kriegstüchtig. Die harte Kriegszucht wurde gemildert, die ent¬ 
ehrende Prügelstrafe und das schimpfliche Spießrutenlaufen abgeschafft, kein 
Soldat sollte mehr geschlagen werden. Dagegen wurden Vaterlandsliebe und 
Ehrgefühl gepflegt. Auch die Bewaffnung wurde vereinfacht; die enge un¬ 
praktische Kleidung machte einer bequemeren Platz; Zopf, Locken und Puder 
verschwanden aus der Armee. Um die schmachvollste Bestimmung des Tilsiter 
Friedens, daß Preußen nicht mehr als 42 000 Soldaten unterhalten dürfe, zu 
umgehen, entließ man die Rekruten, sobald sie eingeübt waren, um neue Mann¬ 
schaften unter die Fahnen zu rufen. Die Entlassenen bildeten bann die 
Reserve und später bie Landwehr. So hatte man in wenigen Jahren 
150000 kriegstüchtige Leute. Auch sonst bereitete man sich in aller Stille 
zum Kriege vor, kaufte neue Gewehre, rüstete die Festungen neu aus und 
vermehrte die Zahl der Kanonen. 
2. Umgestattung der Staatsverwaltung. Es bedurfte aber nicht nur 
einer Erneuerung des Heeres, sondern auch einer Umgestaltung des ganzen 
Staatswesens, einer sittlichen Wiedergeburt des ganzen Volkes. Dieses schwere 
Werk unternahm der edle Freiherr vom Stein, den der König 1807 zum 
Minister berief. Er wollte in allen Schichten des preußischen Volkes eine 
kräftige, vaterländische Gesinnung erwecken und wieder Mut und Selbstvertrauen 
einflößen. Zu diesem Zwecke suchte er besonders den Bauern- und Bürger¬ 
stand zu heben. 
a. Befreiung des Bauernstandes. Um dem Ackerbau aufzuhelfen, mußte 
der Bauer mit neuer Arbeitslust erfüllt werben. Das konnte nur burch Er¬ 
leichterung feiner schweren Lasten geschehen. Bis bahin waren bie meisten 
Bauern bem Gutsherrn noch erbunterthänig, b. H. sie würben mit ben 
Gütern wie eine Art Eigentum vererbt; sie besaßen ben Acker nicht als freies
	        
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