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vom Papste abermals zu Hilfe gerufen, aber diesmal gegen die Römer selbst,
welche den Papst auf der Straße mißhandelt hatten. Der Papst war geflohen,
Karl aber hatte ihn im Triumphe nach Rom zurückgeführt und Gericht über
die Schuldigen gehalten. Am Weihnachtsfeste 800, als er im wallenden Pnr-
pnrmantel betend vor dem Altare der Peterskirche kniete, trat plötzlich der
dankbare Papst Leo III. mit der höchsten Geistlichkeit zu ihm, fetzte ihm die
goldene Kaiserkrone anfs Haupt und weihte ihn dadurch zum höchsten weltlichen
Herrn der Christenheit. Durch die Kirche aber hallte der begeisterte Zuruf
der Menge: „Heil und Sieg dem frommen, von Gott gekrönten großen und
friedebringenden Kaiser der Römer Carolus Augustus!" Der Papst selbst
warf sich ihm zu Füßen und huldigte ihm. Damit war das 476 unter¬
gegangene weströmische Kaisertum erneuert, aber es war von den entarteten
Römern ans die kraftvollen Germanen übergegangen, und zugleich hatte der
Kaiser die glänzendste weltliche Krone aus den Händen des Papstes, des
geistlichen Oberhauptes der Christenheit, empfangen. Mit der Kaiserkrönung
hatte Karl den Gipfel seiner Macht erreicht. Sein Reich erstreckte sich im
Norden bis zur Eider, im Osten bis. zur Elbe, Saale und Raab, im Süden
bis über die Tiber hinaus und bis zum Ebro, im Westen bis an den atlan¬
tischen Ozean. So beherrschte er das größte Reich Europas, war Beschützer
der Kirche und Freund des Papstes. Er wohnte am liebsten in Aachen, dessen
warme Quellen schon damals als heilkräftig galten.
5. Zorge für die Wohlfahrt feines Volkes. In Kriegszeiten bot
Karl den Heerbann auf. Dazu gehörten nicht nur Grafen, Erzbischöfe,
Bischöfe, Äbte, sondern auch alle freien Männer, die Besitzer von eigenem
Grund und Boden waren. Alle ärmeren Freien thaten sich mit mehreren
anderen zusammen und rüsteten gemeinsam einen Krieger aus. Von der Ver¬
pflichtung zum Heeresdienste befreit waren alle Hörigen und auch solche Leute,
welche, ursprünglich frei, jetzt als Pächter eines andern Herrn Haus, Hos und
Feld besaßen. Für Bewaffnung und Unterhalt während des Krieges mußte
jeder selbst sorgen und sich wenigstens aus drei Monate mit Lebensmitteln
versehen. Um die drückende Last dieser Verpflichtung abzuschütteln, schenkte
mancher freie Mann fein geringes Eigentum einem Reicheren, nahm es von
diesem wieder in Pacht, d.h. er wurde dessen Lehnsmann, und war dadurch
vom Heeresdienste befreit. Die Zahl der freien Männer nahm daher immer
mehr ab, während der Besitz der Reichen immer größer wurde.
Rechtspflege. Es war keine leichte Aufgabe, das große Frankenreich
in guter Ordnung zu erhalten. Karl teilte es deshalb in viele Provinzen.
Die Provinzen an den Grenzen hießen Marken, die im Innern Gaue.
Die wichtigsten Marken waren: Die Ostmark ober avarische Mark an ber
Donau gegen bie Avaren, bie Norbmark (später Altmark) an ber Elbe gegen bie Wenben,
bie thüringische Mark an der Saale, Unstrut nnb Gera gegen bie Sorben, bie bänische
Mark ober bie Mark Schleswig an ber Eiber gegen bie Dänen, bie spanische Mark
zwischen Pyrenäen nnb Ebro gegen bie Mauren. Die Gaue würben meist burch Flüsse
unb Gebirge bestimmt. So gab es einen Rheingau, Moselgau, Nahegau, Eichs-
felbgau, Thüringgau, Wippergau, Helmegau u. s. w.
Über jede Mark setzte er einen Markgrafen, über jeden Gau einen
(Saugrafen. Die Markgrafen mußten besonders die Grenzen gegen feindliche
Einfälle schützen, die (Saugrafen aber Gericht halten, über die Ordnung wachen
und im Kriege den Heerbann führen. Sie wurden jedesmal aus dem Volke
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