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2. Die verderbliche Regierung Ludwigs XV.
a) Der König selbst hatte durch sein unwürdiges, sittenloses Leben jede
Achtung vor der monarchischen Würde im Volke erstickt.
b) Die äußere Politik war von den Maitressen des Königs beeinflußt.
Die unnütze Beteiligung an Kriegen, die zum Teil der geschichtlichen
Vergangenheit Frankreichs entgegen waren (österreichische Erbfolgekrieg,
der siebenjährige Krieg und der Seekrieg mit England), hatten die
Schuldenlast des Landes vermehrt und das Ansehen der Armee er¬
schüttert. Ludwig XIV. hatte eine Schuld von 3 Milliarden Frank
hinterlassen; beim Regierungsantritte Ludwigs XVI. betrug das jähr¬
liche Defizit 100 Millionen. Die Disziplin in der Armee war ge¬
lockert; die Regierung konnte sich auch aus die Offiziere nicht mehr
verlassen, die meist durch Kaus in ihre Stellen gelangt waren.
c) In der inneren Politik war die königliche Gewalt aufs straffste an¬
gespannt und hatte alle Selbstverwaltung und mit ihr den Sinn für
politische Freiheit und Selbständigkeit vernichtet. In jeder Provinz
übte ein königlicher Intendant eine starke polizeiliche Gewalt aus und
trieb mit Strenge die drückenden Steuern ein.
tl) Das Volk ermangelte auch eines sicheren Rechtsschutzes. Den Parla¬
menten, welche die obersten Gerichtshöfe bildeten, entriß der König die
richterliche Befugnis. Jede Opposition wurde durch geheime Haftbriefe
im Keime erstickt.
3. Der Einfluß der sogenannten Philosophen. Die Encyklo¬
pädisten Diderot und dÄlembert hatten für die Verbreitung der verschiedensten
Kenntnisse unter dem Volke gewirkt. Die Litteratur der Philosophen war voll
Spott und scharfer Angriffe auf die staatlichen nnd kirchlichen Zustände.
Montesquieu stellte seinen Landsleuten die konstitutionelle Regierungsform als
erstrebenswert hin, Rousseau forderte in dem „Gesellschaftsvertrage" demokra¬
tische Zustände.
4. Unter diesen Umständen mußte der Eindruck, den der Sieg
der politischen Freiheit in Nordamerika bei den gebildeten Fran¬
zosen machte, ein mächtiger sein.
B. Die nähere Veranlassung. Unter Ludwig XVI., der im Jahre 1774
den Thron bestiegen hatte, war das jährliche Defizit bis auf 198 Millionen
Frank gestiegen, und Frankreich stand vor dem Staatsbankerott. Der König
selbst war sittenrein, sparsam, aber zu wenig energisch, um durchgreifende
Maßregeln zur Beseitigung der Geldnot treffen zu können. Seine Gemahlin
Marie Antoinette, die Tochter Maria Theresias, wurde bei ihrem arglos
jugendlichen Benehmen inmitten eines verderbten Hofes das Opfer schamloser
Verleumdungen; gegen sie besonders wandte sich der Haß des Volkes. Als
die schnell wechselnden Finanzminister (Turgot, Necker, Calonne, de Brienne)
sich in vergeblichen Versuchen zur Besserung der Finanzen erschöpft hatten,
riet der zum zweitenmale ernannte Necker dein Könige zur Berufung der Reichs¬
stünde, die seit 1614 nicht mehr versammelt worden waren. Mit dieser In-
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