— 355 
sage von „Reimcke Fuchs" die Anmut des überlieferten durch gesuchte 
Anspielungen Schaden litt. 
Allmählich machte sich hier und dort jemand, der Geschick und Sinn 
Zum Reimeu empfinden mochte, an die erzählende Poesie, die sich an 
die epische Dichtung vergangener Zeiten anzulehnen versuchte, aber über 
die Prosa nicht weit hinaus kam. So trat an Stelle des Minne- 
gesanges zu Ende des Mittelalters der Meistergesang, eine Reim- 
kunst, die unter Leitung schlichter Handwerksmeister nach fest gestalteten 
Formen betrieben wurde, gleich den Arbeiten ihrer Gewerbe. Eine 
sittlich fromme Haltung beherrschte diese Reimarbeit, welche die Werke 
der arbeitreichen Tage nicht stören durfte. 
Die Sänger kamen abends auf der Zeche oder Herberge 
zusammen; die öffentlichen Singeschulen der Meistergenossen¬ 
schaften, die besonders in den süddeutschen Städten blühten, waren der 
eigentliche Gerichtshof für Leistung und Wert der Singearbeit, die 
gelernt und geübt wurde gleich dem Handwerk. Jede Schule hatte 
ihre Tabulatur, ein Verzeichnis der Fehler, die besonders im Reim 
vermieden werden mußten, und wer sie wohl inne hatte, war ein 
Schulfreund, wer noch daran lernen mußte, ein Schüler. Die ihre 
Lieder vorsangen hießen Sänger, Dichter waren die, welche ihre 
Verse fremden Melodien anpaßten. Wer aber Reim und Melodie 
erfand, war ein vollkommener Meister. 
Am Sonntag nach Schluß des Nachmittagsgottesdienstes, wenn 
die reich geschmückte Schnltafel ausgehangen war, wurde die Schule 
vor der in andächtigem' Schweigen horchenden Bürgerschaft gesungen. 
Die Merker gaben genau Acht, und wer am glättesten sang, erhielt 
den Preis, einen Kranz, den ihm der Kronmeister überreichte, auch 
wohl ein kostbares Kleinod an einer Kette. Der Sieger hieß König- 
David-Gewinner, weil auf dem Kleinod König David mit der 
Harfe abgebildet war. 
Das galt als hohe Ehre für den mit dem Preise Gekrönten, wie 
für seine ganze Sippe; selbst die Zunft nahm an dem Ruhm Teil. 
Auch wurden die besten Gedichte in ein großes Buch geschrieben und 
letzteres sorgfältig in der Lade aufbewahrt. 
Wurde bei diesem handwerksmäßigen Dichten nichts hervorragendes 
geleistet, so liegt doch in dem Meistergesang ein gut Teil gesunder 
Volkskraft, Humor und Witz. Vor allen Dingen steht er dem wirklichen 
Leben näher, als der Minnegesang, der sich oft in Romantik vertieft 
23*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.