Ausbreitung der Reformation. Zwingli. Calvin. Karls V. Kriege.
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Deshalb veranstaltete der kluge und tatkräftige Landgraf Philipp von
Hesfen zwischen Luther und Zwingli ein „Religionsgespräch" zu
Marburg, um eine Einigung herbeizuführen. Weil indes über die 1529
Abendmahlslehre eine Verständigung nicht erzielt werden konnte, so unter-
blieb die Vereinigung; im Gegenteil wuchsen beide Teile noch mehr aus-
einander, als das Werk Zwinglis nach seinem Tode durch seinen Lands-
mann Kalvin aus Genf fortgesetzt wurde. Die Lehre Calvins stand 1541
zwar derjenigen Luthers etwas näher als derjenigen Zwinglis; da aber
die sonstigen Einrichtungen beider Schweizer nahe verwandt waren, so
kam zwischen den Anhängern Zwinglis und Calvins eine Einigung zu-
stände; sie nannten sich Reformierte und traten nun in bewußten
Gegensatz zu den Lutheranern. Das war für die Ausbreitung der
Reformation bedenklich, für die Erhaltung des Katholizismus förderlich.
Letzterer hatte von Karl V. lange Zeit nichts zu hoffen gehabt,
obwohl der Kaiser im Herzen stets ein treuer Katholik geblieben
war. Gleichwohl konnte er jahrelang aus politischen Gründen nicht gegen
die Reformation auftreten. Seine riesige Hausmacht hatte ihm den
Gedanken einer Weltherrschaft nahe gelegt. Dadurch aber schuf sich
Karl verschiedene Gegner, vor allem den König Franz I. von Frank-
reich, zeitweise sogar seinen eigenen Bruder Ferdinand, die deutschen
Fürsten, Protestanten und Katholiken, und — den Papst selbst. Dazu
kam noch, daß die Türken die Gelegenheit eines solchen Kampfes in
der Regel auch benutzten, um ihrerseits die österreichischen Erbländer an-
zugreifen. So wurde Karl derart in Anspruch genommen, daß er bis
zum Beginn des Tridentiner Konzils nichts Ernstliches gegen die 1545
Protestanten unternehmen konnte.
Mit Frankreich führte der Kaiser bis 1544 vier schwere Kriege.
Es handelte sich dabei um Mailand, Neapel, Navarra und das Herzog-
tum Burgund (im engeren Sinn; Bonrgogne). Im ersten Kriege gewann
Karl die berühmte Schlacht bei Aavia durch seine tapferen Lands- 1525
knechte unter Leitung des Georg v. Fruudsberg. Doch der Papst,
dem Karl als Herr von Neapel und Mailand zu mächtig geworden wäre,
trat jetzt auf die Seite Frankreichs, und da gleichzeitig Sultan Sulei-
man (Soliman) Ungarn angriff, so mußte Karl den Protestanten auf dem
ersten Reichstag zu Speier das Zugeständnis machen, sie dürften es 1526
mit der Religion so halten, wie sie es „vor Gott und kaiserlicher
Majestät glaubten verantworten zu können". Dies sollte gelten bis zur
Einberufung eines allgemeinen Konzils. Als aber Karl mit Franz den
Frieden von Cambray geschlossen hatte, wurden auf einem zweiten 1529
Reichstag zu Speier alle Neuerungen verboten. Von der dagegen
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