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Seiten der langen Straße bildeten Tausende von Einwohnern Doppelreihen. Er 
fuhr ziemlich langsam, und war sehr bestäubt. Links und rechts zog man ehrerbietig 
Hüte und Mützen . . . 
Die Zeit, wo er Tafel hielt, dauerte kaum eine Stunde. Nach ihr gab er 
den verschiedenen Behörden Audienz... Er zeigte sich hier völlig als unser allein 
gebietender Herr, und ließ es den Anwesenden hier und da stark genug merken, daß 
er auch Sachsen für ein Partikelchen des großen Reiches ansehe, in welchem die 
Sonne nie untergeht . . . *) 
Auf dem Markte stand die sämmtliche Kavallerie en colonne, und einige 
Bataillons Infanterie, um eine Mauer gegen den Andrang der Zuschauer zu bilden, 
aufmarschirt. Bald erschien er in ihrer Mitte, und fing sogleich an, durch die Linien 
zu gehen, und Mann für Mann in Augenschein zu nehmen. Jetzt hatte man Ge¬ 
legenheit, den merkwürdigen Mann sehr genau zu betrachten. Er schien ganz be¬ 
sonders gut gelaunt. Er hielt häufig eine geraume Zeit dicht an den Volksmassen 
stille. Die Wachen trieben diese mit großem Eifer sogleich zurück. Alles, was er 
bisher gesehen hatte, konnte ihn wohl überzeugen, daß wir, die er vielleicht in der 
völligsten Revolution glaubte, denn doch so schlimm nicht wären. . . Als er daher 
das Zurückdrängen bemerkte, verbot er es, und dieser kleine Schatten von Gnade 
trug ihm ein lautes Vivatrufen ein. — 
Er scheint bey seinen ersten Generalen in gewaltigem Respekt zu stehen. Sie 
folgten ihm überall mit großer Ehrerbietung, ohne daß er sich um sie zu bekümmern 
schien. Rüste er einen derselben, so eilte dieser pfeilschnell herzu, und empfing seine 
Befehle mit entblößtem Haupte in der tiefsten Unterthänigkeit. 
. . . Sein Tagewerk war kaum geendigt, als der Wagen vorfahren mußte, 
und in einigen Minuten flog er schon zum grimmaischen Thore hinaus. Er soll 
laut geäußert haben, daß man ihn in Rücksicht der Stadt Leipzig entsetzlich belogen 
habe. Er habe nirgends mehr Ruhe und Ordnung gefunden . . . und sey voll¬ 
kommen mit ihr zufrieden. Daß er uns wirklich nicht abhold war, bewies er da¬ 
durch, daß er, während der Wagen zum Thore hinaus wollte, nach allen Seiten 
freundlich grüßte, und dafür ein neues Vivatrufen einerntete." 
(L. Hußell, Geschichte Leipzigs seit dem Einmärsche der Verbündeten April bis Okt. 1813. S. 128 f.) 
*) Vgl. die folgende Nr. 
c) Bericht des Dolmetschers Jean Pierre Platzmann über die Audienz der Leipziger Behörden 
bei Napoleon. (1813, 14. Juli.) 
„Zur Audienz erschienen: der Commandant der Stadt, General von Polenz; 
der Gerichtspräsident Freiherr von Werthern; die Kreisdeputation *) mit ihrem Vor¬ 
sitzenden , dem Oberjägermeister von Bölau; der Oberst der Bürgergarde, Major 
von Lenz; die Abgeordneten der Universität mit dem Rector; die Abgeordneten des 
Stadtrathes mit dem Bürgermeister Hermann; die drei Abgeordneten der Geistlichkeit, 
Einer von jeder Consession; die sechs Abgeordneten der Handluugsdeputirten. 
Nachdem wir uns um drei Uhr Nachmittags auf dem Rathhause versammelt 
hatten, begaben wir uns in den Palast. Der General von Gersdorf geleitete die 
Behörden in den Audienzsaal, und eine halbe Stunde darauf erschien der Kaiser. 
Er wendete sich sogleich mit der Frage an den General von Polenz: Warum haben 
Sie Ihre Studenten nicht im Zaume gehalten? 
v. Polenz: Sire, ich hatte die Macht dazu nicht. 
!) Vgl. S. 168 f. 
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