Die Kunst 35 
zu erfinden, sann auf Ungewöhnliches, Fremdartiges und wollte auf diesem 
Gebiete seine ganze Kirnst entfalten. — (Beschreibung eines seiner Bilder:) 
Huf üppig grünendem Rasen ist die Kentaurin dargestellt, mit ihrer ganzen 
Roßgestalt am Boden liegend, die Füße nach hinten ausgestreckt. Der weib¬ 
liche Körper ist sanft erhoben und ruht auf dem Ellenbogen... von den 5 
Jungen hält sie eins in ihren Armen empor und nährt es auf menschliche 
weise, während sie das andere an ihrem (Euter wie ein Füllen säugt. (Dben 
im Bilde neigt sich wie von einer warte ein Kentaur lächelnd herüber, 
offenbar der Mann derer, welche ihre Kleinen auf doppelte weise nährt. 
(Er ist nicht ganz sichtbar, nur bis zur Mitte des Roßkörpers, und hält ein 10 
Löwenjunges empor, hoch über sich, um im Scherze die Kleinen zu schrecken... 
Die junge Brut erscheint trotz des Kindischen im Ausdruck wild und bei 
ihrer Weichheit doch schon unbändig. Das scheint bewunderungswürdig; 
ebenso aber auch, daß sie ganz nach Kinderart nach dem jungen Löwen 
emporblicken, indem sich jeder... eng an die Mutter anschmiegt. 15 
[Plin. 35,65] Mit Zeuxis soll sich Parrhasios in einen Wettkampf ein¬ 
gelassen haben, und als Zeuxis so treffend gemalte Trauben ausstellte, daß 
die Vögel zur Bühne geflogen kamen, soll er selbst einen Vorhang ausge¬ 
stellt haben, der einem wirklichen so täuschend ähnlich sah, daß Zeuxis un¬ 
wirsch ausrief, er solle doch endlich den Vorhang entfernen und sein Gemälde 20 
zeigen. Schließlich ward er seinen Irrtum gewahr, und mit aufrichtiger Be¬ 
schämung erkannte er Parrhasios den Preis zu, weil er nur Vögel, Parrhasios 
aber ihn selbst, einen Künstler, hinters Licht geführt habe. 
Timanthes [Plin. 35, 73]: Die Iphigenie des Timanthes wird in den 
Werken der Redner viel gefeiert. Sie steht am Altar, dem Tode geweiht. 25 
Bei allen (vier Nebenfiguren, besonders bei ihrem ©heim, hatte der Maler 
den Schmerz zum Ausdruck gebracht. Da nun dieser Ausdruck der Trauer 
schon völlig ausgeschöpft war, so hat er das Antlitz des Vaters selbst ver¬ 
hüllt , das er in würdiger weise nun nicht mehr darzustellen vermochte.1 
4. Die Musik? 30 
[(Plut.) de mus e. 29/.] Der Sologesang zur Kitharo... hatte bis auf 
Phrynis' Zeiten (Mitte des 5. Jahrh.) einen ganz schlichten Charakter. Da¬ 
mals durfte man diese Gesänge noch nicht komponieren wie heute und mit 
1 vgl. Lessing, Laokoon Kap. 2. 
8 3n perikleischer Seit tritt ein entscheidender Wechsel in der das ganze 
Volksleben intensiv beherrschenden Musik ein; die Kämpfe, die sich hieran schlossen, 
erinnern lebhaft an die des 19. Jahrhunderts, vor allem bestanden die Neue¬ 
rungen im ,,Durchkomponieren", im häufigen Wechsel von Takt und Melodie, in 
der Vermehrung der musikalischen Mittel (vgl. die Steigerung der Sattenzahlen 
S. 36, 18. 42) und in der Zurückdrängung des Textes durch Gesang und In¬ 
strument. Die euripideische Chorpoesie ist von der neuen Musik aufs tiefste be¬ 
einflußt; leidenschaftlich wird sie von flristophanes und später von Platon be¬ 
kämpft. vgl. v. Wilamowitz, Timotheos S. 64ff. 
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