22 D. Aristoteles
_nun9 könnte je bewirken, daß er ein Streben nach oben annähme, und wenn
ihn auch einer mit der Absicht, ihn umzugewöhnen, unzählige Male in die
k)öhe würfe. Ebensowenig läßt sich das Feuer zur Richtung nach unten um¬
gewöhnen, und das gleiche gilt von allem übrigen; von den Erzeugnissen
der Natur läßt sich keine einzige umgewöhnen. Rlfo werden uns die sitt¬
lichen Beschaffenheiten ebensowenig durch die Natur wie wider die Natur
zuteil; wir haben von Natur aus die Fähigkeit, sie zu gewinnen, und durch
Gewöhnung kommen sie in uns zur Entwicklung.
2. Die Ludämome.
NiJc. Ethik I, 7: Die (Eigenschaft, volles Genüge zu gewähren, schrei¬
ben wir demjenigen Gute zu. das für sich allein das Leben zu einem be¬
gehrenswerten macht, zu einem Leben, dem nichts mangelt. Für ein solches
Gut sieht man die Glückseligkeit an1; man hält sie zugleich für das Be¬
gehrenswerteste von allem, und das nicht so, daß sie nur einen Posten in
der Summe neben anderen ausmachte. Bildete sie so nur einen Posten, so
würde sie offenbar, wenn auch nur das geringste der Güter noch zu ihr
hinzukäme, noch mehr zu begehren fein. Denn kommt noch etwas hin¬
zu, so ergibt sich ein Zuwachs an Größe; von zwei Gütern ist aber jedes¬
mal bas größere mehr zu begehren. So erweist sich denn offenbar die
Glückseligkeit als abschließend und selbstgenügend, und darum als das End¬
ziel für alle Gebiete menschlicher Tätigkeit. - Darüber nun, daß die Glück¬
seligkeit als das höchste Gut zu bezeichnen ist, herrscht wohl anerkannter¬
maßen volle Übereinstimmung; was gefordert wird, ist dies, daß mit noch
größerer Deutlichkeit aufgezeigt werde, worin sie besteht. Dies wird am
ehesten so geschehen können, daß man in Betracht zieht, was des men¬
schen eigentliche Bestimmung bildet. ... Das höchste Gut für die
Menschen ist die im Sinne wertvoller Beschaffenheit geübte geistige Betäti¬
gung, und, gibt es eine Mehrheit von solchen wertvollen Beschaffenheiten,
so wird es die geistige Betätigung im Sinne der höchsten und vollkommen¬
sten unter allen diesen wertvollen Eigenschaften sein, dies aber ein ganzes
Leben von normaler Dauer hindurch. Denn eine Schwalbe macht keinen
Sommer, und auch nicht ein Tag. So macht denn auch ein Tag und eine
kurze Zeit nicht den seligen noch den glücklichen Menschen.
3. Das Maßhalten.
Nik. Ethik II, 6: Sittliche Tüchtigkeit ist ein Innehalten der rechten
Mitte2; und die rechte Mitte hat sie zum Ziele. Das verfehlen aber ist
1 3ur Glückseligkeit gehören nach Aristoteles die körperlichen und äußeren
Güter nicht wesentlich, sondern nur insofern, als ihr Fehlen das vollendete Glück
beeinträchtigen kann. Das wesentliche ist die in der Bestimmung des Menschen
liegende Tätigkeit der Vernunft.
In dieser Lehre stimmt Aristoteles auch mit den Anschauungen seines Volkes
überein. 3m Schönen wie im Guten ist das Maß für den Griechen höchster wert.