Full text: Die deutsche Stadt im Mittelalter (H. 38)

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V. 77—81. Ein wichtiger, völlig ideell, ja phantastisch erscheinender Punkt, 
über dessen Realität der Dichter schon manchen Zweifel erleben mußte, wovon aber ein 
sehr erfreuliches Dokument noch in seinen Händen ist. 
Ich stand wirklich am zehnten Dezember in der Mittagsstunde, grenzenlosen 
Schnee überschauend, auf dem Gipfel des Brockens, zwischen jenen ahnungsvollen 
Granitklippen, über mir den vollkommen klarsten Himmel, von welchem herab die 
Sonne gewaltsam brannte, so daß in der Wolle des Überrocks der bekannte branstige 
Geruch erregt ward. Unter mir sah ich ein unbewegliches Wogenmeer nach allen Seiten 
die Gegend überdecken und nur durch höhere und tiefere Lage der Wolkenschichten die 
darunter befindlichen Berge und Täler andeuten. 
Die herrliche Erscheinung farbiger Schatten bei untergehender Sonne ist in 
meinem Entwurf der Farbenlehre, im 75. Paragraphen umständlich beschrieben. 
V. 82—88. Hier ist leise aus den Bergbau gedeutet. Der unerforschte Busen 
des Hauptgipfels wird den Adern seiner Brüder entgegengesetzt. Die Metalladern 
nd gemeint, aus welchen die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit gewässert werden. 
Eine vorläufige Anschauung dieser wichtigen Geschäftstätigkeit sich zu verschaffen, 
welches ihm auch gelang, veranlaßte zum Teil das seltsame Unternehmen, wovon das 
gegenwärtige Gedicht allerdings mysteriöse, schwer zu deutende Spuren enthält. 
Das Thema desselben wäre also wohl folgendermaßen auszusprechen: der Dichter, 
in doppelter Absicht, ein unmittelbares Anschauen des Bergbaues zu gewinnen und 
einen jungen, äußerst hypochondrischen Selbstquäler zu besuchen und aufzurichten, be¬ 
dient sich der Gelegenheit, daß engverbundene Freunde zur Winterjagdlust ausziehen, 
um sich von ihnen auf kurze Zeit zu trennen. 
So wie sie die rauhe Witterung nicht achten, unternimmt er nach seiner Seite 
hin jenen einsamen, wunderlichen Ritt. Es glückt ihm nicht nur seine Wünsche erfüllt 
zu sehen sondern auch durch eine ganz eigene Reihe von Anlässen, Wanderungen und 
Zufälligkeiten auf den beschneiten Brockengipfel zu gelangen. Von dem, was ihm 
während dieser Zeit durch den Sinn gezogen, schreibt er zuletzt kurz, fragmentarisch, 
geheimnisvoll, im Sinn und Ton des ganzen Unternehmens, kaum geregelte rhyth¬ 
mische Zeilen. 
Durch einen ziemlichen Umweg schließt er sich wieder an die Brüder der Jagd, 
teilt ihre tagtäglichen heroischen Freuden um nachts in Gegenwart einer prasselnden 
Kaminflamme sie durch Erzählung seiner wunderlichen Abenteuer zu ergötzen und 
zu rühren. _ 
Mein werter Kommentator wird hieraus mit eignem Vergnügen ersehen, wie 
er so vollkommen zutn Verständnis des Gedichtes gelangt sei, als es ohne die Kenntnis 
der besonders vorwaltenden Umstände möglich gewesen; er findet mich an keiner Stelle 
mit ihm in Widerstreit, und wenn das Reelle hie und da das Ideelle einigermaßen zu 
beschränken scheint, so wird doch dieses wieder erfreulich gehoben und ins rechte Licht 
gestellt, weil es auf einer wirklichen, doch würdigen Base emporgehoben worden. Gibt 
man nun aber dem Erklärer zu, daß er nicht gerade beschränkt sein soll alles, was er 
vorträgt, aus dem Gedicht zu entwickeln, sondern, daß er uns Freude macht, wenn 
er manches verwandte Gute und Schöne an dem Gedicht entwickelt, so darf man diese 
kleine gehaltreiche Arbeit durchaus billigen und mit Dank erkennen. 
Zu Chamissos „Salas y Gomez" Str. 7,1 vgl. Grimm (Wörterbuch) unter 
,bewahrend 4. bewahren, firmare, munire, befestigen, besorgen, verwahren. Als Bei-
	        
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