130 I. Die Renaissance.
treten. Damit waren die Grundlagen und Ansätze zu einer Re-
naissancephilosophie gegeben. Schon Nicolaus nennt den Zweifel
den Erkenntnis ansang, wenn auch zunächst nur im Sinne des nicht
unbedingten Vertrauens auf die Autoritäten in Kirche und Antike.
Dagegen will der radikalere Renaissancedenker mit jeglicher Über¬
lieferung brechen und nur die exakten Ergebnisse der empirischen Induktion
gelten lassen, so daß Männer wie der Arzt Cardanus das All rein
mechanistisch zu erklären suchen und den Menschen zum Maße der Dinge
machen. Solche Denker blieben allerdings vereinzelt, zumal in Deutsch¬
land, wo die Losreißung von dem überkommenen vielmehr zur Zuspitzung
der religiösen Frage trieb. In den romanischen Ländern führten
solche Strömungen zu religiöser Gleichgültigkeit. Darum zeitigte die
Renaissance hier vornehmlich eine künstlerische Blüte, während sie bei
uns eine religiöse Wendung nahm, zumal gerade in den kleinbürger¬
lichen und bäuerlichen Kreisen unserer Vorfahren eine altväterlich¬
schlichte Frömmigkeit erhalten blieb.
5. Der philosophische Charakter der Übergangszeit;
Individualismus, Kunst und Lebensführung.
Auch in philosophischen Fragen vollzieht sich der Übergang von
der gebundenen zur freieren Denkweise allmählich. Bleibt Aristoteles
auch noch längere Zeit der Äeld, dessen aus gesichteten und neu er¬
klärten Texten gewonnene Anschauungen man immer wieder mit
der Kirchenlehre in Einklang zu bringen sucht, so verliert diese doch
mehr und mehr ihre frühere Stellung. Die humanistische Zunft stellt,
wie Raffaels „Schule von Athen" zeigt, neben Aristoteles bald auch
Plato. Bereits die älteren Kirchenväter hatten seine Lehre nicht für
widerkirchlich gehalten. Die Renaissance vollends begründete eigens
zum Studium Platos die Florentiner Akademie, die höchste philo¬
sophische Leistung der Zeit, stellte ihn geradezu neben die Heiligen
und erhob seine mit christlich anmutenden Gedanken durchsetzte Lehre
zu ihrem Bekenntnis; so wenig sich auch das im Grunde auf Natur-
entseelung abzielende Induktionsstreben der Renaissance mit dem
Idealismus Platos vertrug. Der humanistische Denker scheut aber
selbst vor der Pflege und Verbreitung widerchristlicher, z. B. pan-
theistischer und materialistischer Anschauungen nicht zurück, wie sie
die Moralphilosophie der Pythagoräer und Epikuräer enthielt. So
wurde der Boden des Dogmas immer tiefer unterwühlt; selbst der
Weisheit der Konzilienväter mag man nicht mehr trauen. Aber
auch in der Wiederholung der Antike findet das forschende Subjekt,
des Bücherwissens und der theologischen Grübeleien müde, keine