Full text: Das Mittelalter (Theil 2)

ja das hohe Ideal seines Berufs gleich einem leuchtenden Sternbilde im 
Osten aufgegangen! Hans Sachs pilgerte nun den ganzen Rheinstrom auf 
und ab, keine Stadt unbesucht lassend, wo die Kunst des Meistergesangs 
gepflegt ward. Aber vom Singen wird der Mensch nicht satt, so erging 
es schon in jener Zeit den bedauernswerten Dichtern. Es half nichts, 
Hans Sachs mußte wieder zu seinem Handwerk sich wenden und bei tüch¬ 
tigen Schustermeistern Arbeit suchen, die ihm auch nirgends fehlte, und 
wenn er nun, auf dem Dreifuß sitzend, den ganzen Tag genäht und ge¬ 
hämmert hatte, dann warf er sich noch spät am Abend in seinen Sonn¬ 
tagsstaat und begab sich nach den Versammlungsorten der Singschulen, 
wo er anfangs als lernbegieriger, vielversprechender Schüler, bald aber 
selbst als wackerer Praktikant und endlich als ein so tüchtiger Meister will¬ 
kommen war, wie nur einer jemals ein Gesätz und Gegengesätz gefügt 
hatte. So vergingen einige Jahre, binnen welchen Hans Sachs bekannt 
und berühmt geworden war bei allen Verständigen und Liebhabern der 
Kunst in ganz Deutschland. Aber als brodlose Kunst erwies sich denn 
doch noch sür's Erste der herrliche Meistergesang, so wie es Hans Sach¬ 
sens Vater vorausgesagt hatte. 
Da entschloß sich der Jüngling, im gerechten Stolz auf seinen erwor¬ 
benen Ruhm, wieder umzukehren nach seiner lieben Vaterstadt und wie 
zuvor im Hause des Vaters zu arbeiten, als Handwerksgenosse, nebenbei 
aber der edlen Kunst, von welcher er nun und nimmer lassen konnte, fleißig 
obzuliegen. Nach langer, mühseliger Wanderschaft langte er an einem späten 
Abend in Nürnberg an. Er suchte die wohlbekannte Gasse auf, wo das 
väterliche Häuschen stand; lange mußte der Jüngling erst leise, dann lauter 
und immer lauter klopfen, bevor im Innern des Hauses Tritte und eine 
keifende Weiberstimme laut wurden. Endlich öffnete sich das Fenster und 
ein altes Weib erschien mit Licht, scheltend, wer noch in so später Nacht 
Einlaß begehre. „Gute Frau," sagte bescheiden der Jüngling, „wohnt hier 
nicht Veit Sachs, der Schuster?" Auf diese Frage schalt die Frau nur 
ärger. „Merkt's Euch, Ihr Tagedieb," rief sie im heftigsten Unwillen, 
„daß Veit Sachs, der Schuster, schon vor zwei Jahren das Zeitliche ge¬ 
segnet und weder Mann noch Maus von seiner Familie an dieser Woh¬ 
nung mehr Antheil hat." Wie diese traurige Nachricht den armen Jüng¬ 
ling erschreckte, wollen wir dem Leser nicht schildern; er sank erschüttert 
nieder auf einen Stein vor der Thüre des gegenüberstehenden Hauses, 
verbarg das Gesicht in beiden Händen und schluchzte laut. 
Armer Sachs, wohin sollst du dich nun wenden, um ein Nachtquartier, 
um eine gastliche Aufnahme zu finden? Muth gefaßt! Dem Redlichen hilft 
Gott! Der traurige Hans besann sich zur rechten Zeit auf seinen alten 
Meister in der Kunst, der er sein ganzes Leben nun gewidmet hatte, auf 
den alten Weber Nunnenbeck. Zum Hause dieses würdigen Mannes wendet 
er sich und bald liegt er in den Armen seines einzigen, väterlichen Freundes. 
„Bleibe bei mir, lieber Sohn," spricht der wackere Greis, „und liege ohne 
Scheu und Störung der edlen Kunst ob, welche dir schon so reichlich
	        
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