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Brust einen Augenblick frei, und diesen Augenblick benutzte der Feind; ein
Wurfspieß fauste herüber und durchbohrte die Brust des Königs. Da
hauchte der Held seine Seele aus.
Einige der Kaiserlichen aber zerrten die Leiche hervor und hieben ihr
den Kopf ab und steckten denselben auf einen Speer, damit dieser Anblick
den Römern Muth einflöße und die Gothen verzagt mache. Aber die Gothen
kämpften wacker fort bis zum Abend. Die Nacht schied das Treffen und
von beiden Seiten blieben die Kämpfer in den Waffen. Am folgenden
Morgen stellten sie mit dem ersten Strahl der Sonne ihre Reihen und
wiederum kämpften sie bis in die Nacht, und keiner wandte den Rücken
und keiner wich, so viel auch ihrer fielen, und Jeder fiel an dem Orte,
wo er getroffen war. Die Gothen wußten wohl, daß sie zum letzten Male
kämpften; die Römer aber wollten ihnen nicht nachstehen an Muth.
Am Abend aber des zweiten Tages sandten die Gothen einige der
Angesehensten ihres Volkes zu Narses und ließen ihm sagen, sie sähen nun
wohl ein, daß Gott ihnen das Land Italien nicht zum Eigenthum bescheert
habe. Darum wollten sie abstehen vom Kampfe, doch nicht um sich dem
Kaiser zu unterwerfen, sondern um mit ihren Genossen nach ihren Ge¬
setzen zu leben. Darum bäten sie um freien Abzug, und daß sie auch das
Reisegeld mitnehmen dürften, das früher ein Jeder zurüctgelegt hätte.
Narses erwog diesen Vorschlag im Kriegsrathe mit seinen Anführern,
und diese riethen ihm, die Bitte zu gewähren, weil ja doch die Gothen
zum Todeskampfe entschlossen wären, der auch den Kaiserlichen noch man¬
chen tapfern Mann hinwegnehmen wurde. Die Meinung billigte auch
Narses, und er kam mit den Gothen überein, daß diese ungehindert ab¬
ziehen und niemals wieder mit dem Kaiser Krieg führen sollten. Da
gingen noch 1000 Gothen aus ihrem Lager hervor und begaben sich nach
Ticinum (Pavia) und dem nördlich vom Po gelegenen Lande. So endete
der Krieg, der achtzehn Jahre gedauert und an 15 Millionen Menschen
verschlungen hatte, und so war das Ende des Stammes der Ostgothen.
Narses aber wurde zum Statthalter Italiens bestimmt.
2. Noderich und Stares (711 n. Chr.).
In dem schönen Spanien wurden die Gothen während des sechsten
und siebenten Jahrhunderts selten angegriffen, und darum wurde das Volk
im Ganzen der Waffen entwöhnt. Zugleich war das Land immer von
Parteiungen zerrissen; denn es war ein Wahlreich, und nur der war
rechtmäßiger König, welcher feierlich dazu gewählt auf dem Schilde empor¬
gehoben wurde. Dadurch stieg die Macht der Großen des Reichs, sowohl
der weltlichen als der geistlichen; denn nur die Großen hatten das Recht
der Wahl, und dadurch entstanden unendliche Streitigkeiten, welche sowohl
die königliche Macht, als auch die Ruhe und Sicherheit des Volkes zer¬
rütteten.