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lassen, sie will auch gegen niemand ein Wort sprechen. Auf den achten Tag aber
nach dem Ende ihrer Fahrt gebietet sie ein Turnier zu Neuenburg. Welcher Ritter
ihre Fahrt vernimmt und nicht gegen sie kommt, den thut sie in der Minne Bann
und in die Acht aller guten Frauen. Sie hat ihre Herbergen darum alle in den
Brief geschrieben, daß ein jeglicher Ritter wisse, wann und wo er gegen sie kom¬
men soll."
Wohin dieser Brief kam, so erzählt Ulrich weiter, da waren die Ritter fröhlich,
denn es stand damals in deutschen Landen so, daß niemand ehrenreich sich dünkte,
der nicht in ritterlicher Weise den Frauen diente. Am festgesetzten Tage und Orte
erhob sich der Ritter in kostbarer Frauentracht mit großem Zuge, voran Fiedler und
Postumer. Kleidung, Banner, Schild, Pserdezeng, alles war von schneeweißer
Farbe.
In seinem Buche berichtet Ulrich nun über diese Fahrt ausführlicher, als es
hier wiederholt werden kann. Umständlich wird da erzählt, wohin er an jedem Tage
gekommen, welcher Ritter mit ihm gestochen und wie es jedesmal ergangen. Drei-
hundertundsiebeu Speere verstach die Göttin auf ihrer Fahrt; einst verflach sie an
einem Tage dreiundvierzig, da mußte das Spiel beim Scheine von Fackeln bis in
die Nacht hinein fortgesetzt werden. Zweihunderteinundsiebzig Ringlein verteilte
die Göttin an die Ritter, denn soviel Speere waren auf sie verstocheu worden. Kein
einziges Mal hatte die Göttin sich geneigt, obgleich sie in einem der zahlreichen
Kämpfe verwundet worden war. Wohl aber hatte sie vier der Ritter, die gegen sie
angeritten, in den Sand gestochen. Darum ries mancher aus: „Ei, wie die Königin
Venus die Ritter so meisterlich niedersticht! Ich habe bei meinen Zeiten nie gesehen,
daß Frauen also die Männer fällen könnten."
Lebhaften Anteil an der abenteuerlichen Fahrt und an den Kämpfen nahmen
allerorten die Frauen. Zahlreich erschienen sie als Zuschauerinnen, und freundlich
grüßend zeigten sie sich oft in köstlichen Kleidern an den Fenstern. Und wenn die
Göttin wieder weiterzog, so ward sie von den Frauen begleitet, und die besten
Segenswünsche gaben sie ihr mit auf die Fahrt.
32. Das Turnier zu Nordhausen. 1263.
Die Annalen des Klosters Altenzelle berichten:
„Als Heinrich der Erlauchte, Markgraf von Meißen, vor seinen Feinden Ruhe
bekommen hatte, ließ er einen Hof ausrufen gen Nordhausen in Thüringen. Da¬
selbst ließ er einen großen Garten gar zierlich machen, und ließ darin Zelte auf¬
schlagen, in denen waren gar viel schöne Frauen, Ritter und Knechte. Er ließ auch
einen Baum machen, der war nicht klein, mit ganz goldenen nnd silbernen Blättern,
und den ließ er dort auspflanzen. In dem Garten ward in allen Züchten getanzt,
und darnach hielten die Grasen, Herren und Ritter, die in großer Zahl dahin ge¬
kommen waren, ein Turnier. Und so zwei zusammenrannten und beide sitzen blieben,
welcher von ihnen seinen Speer zerbrach, dem gab man ein silbernes Blatt von dem
Baume, welcher aber einen vom Pferde herabstach und selbst dabei im Sattel fest
Richter, Quellenbuch. 7