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Der Verlust dieser Provinz bewog die Parteien, die sich bisher unausgesetzt
auf das erbittertste bekämpft hatten, zu einem Friedensversuche. Der Dauphin
Karl, seit der Ermordung des Grafen Armagnac das Haupt der orleani-
stischen Partei, hatte mit Johann von Burgund, an den sich die Königin
Jsabella angeschlossen, eine Zusammenkunft auf einer Brücke, die bei
Montereau über die Ionne führt; kaum hatte jedoch Johann vor dem
Dauphin das Knie gebeugt, als er von Tanneguy du Chätel von
der Brücke herabgestürzt wurde, wo er umkam (1419). Sein Sohn und
Nachfolger, Philipp der Gute, schloß hierauf im Vereine mit Jsabella
den Vertrag von Troyes mit den Engländern, demzufolge Heinrich V. mit
des Dauphins Schwester Katharina vermählt und zum König von Frank¬
reich erhoben werden sollte. Heinrich wurde bei seinem Einzug in Paris
von dem burguudisch gesinnten Volke mit lautem Jubel empfangen, und
der Dauphin, den das Parlament seiner Rechte verlustig erklärt hatte, sah
sich bald auf die Länder südlich von der Loire beschränkt. Mitten in der
Laufbahn seines Glückes raffte jedoch ein frühzeitiger Tod den helden¬
mütigen König Heinrich V. hinweg (1422), und ihm folgte in demselben
Jahre der geisteskranke Karl VI. von Frankreich ins Grab. Für den erst
neun Mouate alten Sohn Heinrichs, Heinrich VI., übernahmen seine Oheime,
die Herzoge von Bedford und Glocester (spr. Gloster), jener in Frank¬
reich, dieser in England, die Regierung. In Frankreich folgte der Dauphin
Karl VII. (1422—1461) auf dem Throne, der aber nur südlich von
der Loire seine Herrschaft gegen die Engländer behaupten konnte.
2. Die Jungfrau von Orleans (1429—1431). In der höchsten Ge¬
fahr, durch den Fall der von den Engländern belagerten Stadt Orleans
auch seine südlichen Provinzen zu verlieren, fand Karl VII. eine un¬
erwartete Hilfe. Johanna Darc, die Tochter eines Landmannes aus
dem Dorfe Domremy in Lothringen, erschien in dem Hoflager des Königs
zu Ehinon und erklärte, Gott habe sie zur Retteriu Frankreichs auserkoren
und berufen, Orleans zu entsetzen und den Dauphin zur Krönung nach
Reims zu führen. Die Zuversicht, mit welcher sie von ihrer göttlichen Sendung
sprach, und das Ungewöhnliche ihrer Erscheinung verschafften ihr Glauben,
und sie wurde mit neuen Truppen nach Orleans gesandt. Durch zwei
siegreiche Ausfälle zwang sie die durch ihr Erscheinen entmutigten Eng¬
länder, die Belagerung der Stadt aufzuheben (1429). Nachdem sie hierauf
den Aönig mitten durch das von den Engländern besetzte Land zur Krönung
nach- Reims geführt (Juli 1429), wollte sie sich zurückziehen, ließ sich jedoch
endlich durch des Königs Bitten znm Bleiben bewegen. Bei der Verteidigung
der von den Burgundern belagerten Stadt Compiegne wurde sie während
eines Ausfalles gefangen genommen uud um eine hohe Summe an die
Engländer ausgeliefert (1430). Das französische Jnquisitionsgericht klagte
sie der Zauberei uud Gotteslästerung an und verurteilte sie zum Tode.