Full text: Leitfaden der vaterländischen Geschichte für Schule und Haus

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her alles wissen, was in jedem Zweige der Verwaltung vorgeht, 
er arbeitet von früh bis spät, ihn halten die schlechtesten Wege, 
Wind und Wetter, Eis und Schnee nicht ab, er bietet allen Be¬ 
schwerden Trotz. Er überwacht alles unablässig: alle Beamten zit¬ 
tern vor ihm, weil keiner vor seiner Kontrolle sicher ist. Den Thor¬ 
schreiber in Potsdam, der die Bauern am Morgen warten läßt, 
prügelt er mit den Worten „guten Morgen, Herr Thorschreiber" 
höchsteigenhändig zum Bette heraus. 
Das Heer unter Friedrich Wilhelm; die langen Kerls. 
Die Vermehrung und Vervollkommnung des Heeres war seine Haupt¬ 
sorge, die Soldaten nannte er „seine lieben blauen Kinder"; die 
Zahl der Armee ist unter ihm bis auf 83 000 Mann erhöht worden. 
Die zahlreichen Aushebungen und Werbungen wurden freilich dem 
Lande sehr lästig; uni einige Ordnung in die Aushebung zu 
bringen, wurde nach einer gewissen Einteilung des Landes für 
jedes Regiment ein Kanton bestimmt, aus dem es seine Rekruten 
nehmen mußte. Die Werbungen fanden nicht mir in Preußen, 
sondern auch im Auslande statt; des Königs Vorliebe für große 
Soldaten, oder „lange Kerls", wie er sie nannte, erschwerte die 
Sache sehr. Diese Leidenschaft steigerte sich allmählich so sehr, daß 
der Wert aller Regimenter nach der Anzahl langer Kerls beurteilt 
wurde; besonders aber war das Leibregiment in Potsdam durch 
dieselben ausgezeichnet. Fremde Monarchen beeiserten sich daher, 
um des Königs Gunst zu gewinnen, ihm lange Leute zu schicken; 
bei den Werbungen im Auslande wurde, um solche zu erlangen, 
oft List und Gewalt gebraucht und es kam darüber zu manchen Hän¬ 
deln. Als die Hamburger, die kurz vorher den preußischen Werbern 
Schwierigkeiten gemacht, einen Berliner Geistlichen zu ihrem Haupt¬ 
pastor gewählt, ließ ihn der König nicht gehen. „Die Hamburger 
wollen mir meinen besten Prediger aus dem Lande holen," sagte 
er, „und wenn ich irgendwo einen Lumpenkerl anwerben lasse, 
wird ein Lärmen darüber gemacht." 
Das Leibregiment diente dem König in jeder Beziehung als 
Musterregiment, dort wurden alle neuen Versuche für die Vervoll¬ 
kommnung der Armee veranstaltet. Friedrich Wilhelm führte ein 
strengeres und zugleich sichereres und leichteres Exercitium ein; fein 
Hauptgehülfe war der berühmte Leopold von Dessau (der alte 
Dess uier), der eigentliche Schöpfer der trefflichen Kriegsausbildung 
des preußischen Heers. Um diese zu erreichen, wurde freilich eine
	        
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