Das Interim in Hessen. 69
man kann wohl mit Recht behaupten, daß die fünfjährige haft dem
Landgrafen insofern einen inneren Gewinn gebracht hat, als sie ihn zur
(Einkehr zwang, und was er in seinem früheren Leben gefehlt hatte,
ist ihm hier wohl mit erschreckender Deutlichkeit vor die Seele getreten,
wenn das nicht schon aus seinem späteren ruhigen und ernsteren Ver¬
halten hervorginge, so bezeugte es unanfechtbar sein eigenes Geständnis:
„Daß wir gebüjzet in unserem langen Gefängnis, ist wahr,
und so wir darin gestorben, hofften wir in Gott, wir wollten
nicht übel gefahren seift."
fln Bitten um Freilassung Philipps hat es nicht gefehlt: seine Ge¬
mahlin Christine tat einen Fußfall vor dem Kaiser, die beiden Kurfürsten
erinnerten ihn immer von neuem an ihre nur durch die Hufhebung der
Gefangenschaft wieder herzustellende Ehre, die hessischen Stände reichten
eine Bittschrift ein u. s. w. (Es war vergebens ! Karl V. gab stets aus¬
weichende Antworten, auch dann noch, als er ganz genaue Bestimmungen
über die Dauer der haft Philipps getroffen hatte. 3n einem geheimen,
erst kürzlich wieder ans Licht gebrachten Schriftstück hatte er nämlich
bestimmt, daß der Landgraf, vom 12. Februar 1550 an gerechnet, noch
wenigstens fünfzehn Jahre sein oder seines Sohnes (Befangener
bleiben müsse! Huf die kaiserliche Milde konnte man also nicht rechnen,
wenn man die Befreiung Philipps erreichen wollte, und nachdem auch ein
gewaltsamer Befreiungsversuch, den treue Hessen mit Preisgabe ihres
Lebens aus Liebe zu ihrem Fürsten unternommen hatten, mißlungen
war, schien jede Hoffnung aufgegeben werden zu müssen. Zu rechter
Zeit aber besannen sich die evangelischen deutschen Fürsten, schüttelten das
unerträglich gewordene spanische Joch ab und zwangen Karl, den (Be¬
fangenen loszugeben.
Z. Das Interim in Hessen.
nehmen sie den Leib,
Gut, (Ehr’, Rind und Weib:
Latz fahren dahin,
Sie haben’s kein Gewinn;
Das Reich mutz uns doch bleiben!
Martin Luther.
Das Augsburger 3nterim enthielt keinerlei Zugeständnisse auf dem
Gebiete der Lehre, gab diese vielmehr in ausgeprägt römischer Fassung;
so die Lehre von der Rechtfertigung, von der Vergeltung der guten tDerke,
von Papst und Kirche, von den sieben Sakramenten, von der Messe,
deren Charakter als Sühnopfer allerdings nicht betont wurde, von der
Anrufung der heiligen u. s. w. fluch die Zeremonien sollten bleiben, wie
sie in der alten Kirche hergebracht waren, so z. B. das Fasten und die
Feier der heiligentage. Rls ein Zugeständnis an die evangelische Seite kann
nur die Gewährung des Laienkelches und der Priesterehe auf¬
gefaßt werden, die beide bis zum Konzil geduldet werden sollten. (Es