Das Interim in Hessen. 71
figen landgräflichen Befehle wenigstens den versuch machen, sie durch¬
zusetzen. Ihrer eigenen Stimmung und der des Volkes und der Geist¬
lichen trug sie dabei insofern Rechnung, als sie nur die Verkündigung
der Fastengebote, den Gebrauch des Meßgewandes beim Abendmahl, des
weißen Lhorrocks, der brennenden Lichter und der lateinischen Gesänge,
keineswegs aber irgendwelche Änderungen in predigt und Lehre ver¬
langte. Durch zwei Kommissionen, die im ganzen Lande umherreiften,
suchte sie die Pfarrer und Gemeinden für die genannten äußerlichen
BTaßregeln zu gewinnen. Rber selbst wo die Pfarrer und die Obrig¬
keiten in Städten und Dörfern um des Landgrafen willen sich dazu ver¬
stehen wollten, verhinderte es das Volk in dem richtigen Gefühl, daß
wenn man Rom nur den kleinen Finger reiche, bald die ganze Hand
folgen müsse. Schließlich versuchte die Regierung, wenigstens die in
Marburg eingeführte Ordnung, die den Gottesdienst etwas reicher aus¬
gestattet hatte - es waren hier die lateinischen, durch die Schüler aus¬
geführten Gesänge, das Kruzifix, die Kerzen, der weiße Chorrock, die
Metten und Vespern, sowie eine größere Bnzahl Feiertage beibehalten
worden —, im ganzen Lande zur Richtschnur zu erheben,
um nach außen hin doch auf einige Änderungen hin¬
weisen zu können. Rber auch das ist ihr nicht überall ge¬
lungen. Nicht wenige Pfarrer reichten ihre Entlassung ein;
daß sie nicht, wie zahlreiche ihrer Amtsgenossen, beson¬
ders in Süddeutschland, auswandern mußten und mit TDeib
und Kind ins Elend gerieten, ist der treuen Fürsorge des
Landgrafen zu danken, der von feinem Gefängnis aus an- Kajpa^canius
ordnete, daß alle Prediger, die wegen des Interims nicht gen. Kaufunger.
amtierten, auf seine Kosten bis zu seiner Rückkehr unter- sf^atsar^tD^u
halten werden sollten. Das Schicksal der beiden Kasseler Marburg.)
Pfarrer Dionysius Tltelander und Kaspar Lanius
genannt Kaufunger, die nach (Eingang einer kaiserlichen Beschwerde
über ihr Auftreten gegen das Interim eine Zeitlang flüchtig gegangen
waren, beweist, daß Karl V. über den Stand der Interimseinführung
in Hessen genau unterrichtet war; öfter hat er über den Widerstand, den
seine piäne hier fanden, geklagt und ihn zum vorwand für die weitere
(Befangenhaltung des Landgrafen genommen. Die Regierung machte dar¬
um angestrengte versuche, wenigstens hie und da die Messe wiederein¬
zuführen und dafür, weil kein hessischer Pfarrer sich dazu verstanden
hätte, katholische „Meßpfaffen" zu gewinnen. Rber nur in Marburg,
wo die Deutschherren in ihrer Kirche den vollen Katholizismus wieder
eingerichtet hatten, und vielleicht noch im Schlosse zu Kassel wurde wirk¬
lich Messe gehalten. tDenn so auch von einer (Einführung des Interims
in Hessen in keiner Weise die Rede sein kann, so brachten doch die For¬
derungen des Landgrafen und die Maßregeln der Kasseler Räte eine
gewisse Unsicherheit in das hessische Kirchenwesen, welche die ruhige Ent¬
wicklung unterbrach und darum schädlich war.