Die ersten städtischen Ansiedelungen in Deutschland. 85
halbfreie Lite, und dann, je höher einer in der Gunst des Herrn stieg,
desto mehr näherte er sich der Freiheit. Der tapfere Kriegsknecht war ge¬
wiß nicht fehr verschieden von dem Gefolgsmanne, der sich freiwillig unter
das Mnndinm des Königs begeben hatte und gegen das Versprechen un¬
verbrüchlicher Treue seines Schutzes genoß. Der kundige, zuverlässige Aus¬
setzer schuf sich eine ehrenvolle Stellung, er war mehr der Beamte des Kö¬
nigs, als deffen Sklave. Und endlich kam es doch nicht fo gar felten vor,
daß der Herr einem Unfreien an heiliger Stätte einen Denar aus der Hand
schlug und ihn damit zu einem Freigelassenen machte. In dieser Biegsam¬
keit der Verhältnisse der Unfreien lag der Keim zu einer gedeihlichen Weiter¬
entwickelung dieser ersten Stadtbewohner. Zunächst bildeten die Pfalzleute
eine Gemeinde für sich und dies um fo mehr, als die Pfalz in der Regel
mit einer eigenen Mauer umgeben gewesen zu sein scheint.
Noch an einer andern Stelle der verödeten Römerstadt erwuchs neues
städtisches Leben. Fast gleichzeitig mit der Burg, hie und da vor ihr er¬
stand ein kleines hölzernes Kirchlein, und um das schlichte Haus sammelte
sich bald eine Gemeinde. Schon seit Konstantin war das Christentum Staats¬
religion im römischen Reiche gewesen; am Rhein und an der Donau war
die christliche Kultur zu besonderer Blüte gelangt. Köln, Mainz, Worms,
Trier, Speier, Straßburg waren Bistümer, und die rheinischen Bischöse
machten sich auf den Synoden des 4. Jahrhunderts durch Glaubenseifer
bemerklich. In Trier baute die fromme Kaiserin Mutter Helena prächtige
Kirchen. Kein Wunder, wenn sich bald nach den Stürmen der Völkerwan¬
derung der Rest der christlichen Bevölkerung wieder um die altheiligen
Stätten der Verehrung sammelte. Die Orte, wo einst während der Christen¬
verfolgungen die Märtyrer geblutet, wurden wieder anfgefncht und zu Sam¬
melplätzen der Gläubigen bestimmt; fühlte man sich doch unter dem Schwerte
der heidnifchen Germanen in einer vom Märtyrertum nur wenig verschiedenen
Lage. Von den römischen Kirchen scheint keine den Stnrm der germanischen
Verheerungen überdauert zu haben. Dagegen kam es vor, daß man auf pro¬
fanem römifchen Mauerwerk Kirchen errichtete. So wurde die Stephans¬
kirche in Straßburg aus den Trümmern des römischen Kastells herausge¬
baut, und in Trier erhob sich noch spät die St. Simeonskirche auf dem
Mauerwerk des „römischen Thores". In den meisten Fällen aber scheinen
die ersten germanischen Kirchen über Märtyrergräbern oder an Gerichts¬
stätten errichtet worden zu sein. So entstand in Köln ein Gereonskirchlein.
In Mainz deutet alles daraus hin, daß Kirche und Bistum daselbst eher
wieder erstanden sind, als die merowingische Königspfalz. Besonders tritt
die städtegründende Kraft der Kirche bei Augsburg hervor. Während des
6. Jahrhunderts erwuchs auf den Trümmern der alten Römerstadt eine ger¬
manische Ansiedelung um die Grabstätte der heiligen Afra, die im 3. Jahr¬
hundert nach einem Leben voll Schande mit ihren Dienerinnen zum Christen¬
tum übergetreten war und dafür den Märtyrertod erlitten hatte. An ihrem
Grabe fand sich nach der Völkerwanderung der Rest der Priesterschaft wie-