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Lysander und Perikles.
Staatsverwaltung ihre Hände gierig ausstrecken sieht, oder als wäre es
möglich durch Androhung vou Strafe in dem einzelnen eine Leidenschaft zu
zügeln, die man für das ganze Gemeinwesen hervorruft und nährt. Das
Gesetz, welches dem einzelnen verbot Gold und Silber zu besitzen, wurde
bald und leicht umgangen; die Kriegssteuern, den Bundesgenossen jetzt
von Sparta abgefordert, füllten nicht die Kasse des Staats, sondern nur
den Beutel der Beamten und mit den Mitteln zum Genusse wuchs auch
das Jagen nach Genuß, erst heimlich, bald unverdeckt: so daß die Grund¬
steine selbst wankten und wichen, auf denen bisher die Kraft des sparta¬
nischen Staates ruhte. So kann man gewissermaßen sagen, Lysander sei
für sein Vaterland, was Perikles für Athen, gewesen, wenngleich dieser
mit vieles edler und überhaupt von anderer Natur war: der eine nahm
den Bundesgenossen, der andere der einzigen Nebenbuhlerin die Selbstän¬
digkeit, um die eigene Vaterstadt über alles groß zu machen; beide be¬
trachteten das Geld als eines der vornehmsten Mittel zur Größe ihres
Staates, während sie selbst für sich nur den Ruhm, nicht das Geld such¬
ten; beiden gelang die Erhebung ihres Staates zur höchsten Macht, aber
in den Mitteln zn dieser Erhebung keimte schon der Anfang des sittlichen
Verfalls, der überall den politischen Untergang vorbereitet; und beide
endigten ihre Laufbahn mit geringerem Rnhme, als sie dieselbe begonnen
hatten. Denn Lysander, schon früher unter den andern Griechen durch
Eitelkeit, rohe Sitten und Mordlust verhaßt geworden, verdunkelte später¬
hin seinen großen Namen dadurch, daß er auf den Umsturz der bestehen¬
den spartanischen Verfassung ausging.
Mit dem von Sparta gewährten Frieden und der Erfüllung seiner
Bedingungen war der peloponnesische Krieg beschlossen. Die gedemütigten
Athener sahen ein, daß sie, wenn es einmal ihren Überwindern so gefiel,
die demokratischen Einrichtungen nicht behaupten konnten, unter denen sie
mit Ausnahme eines vor sieben Jahren gemachten Versuches einer oligar-
chischen Regierung bisher gelebt hatten, und wählten daher nach der Wei¬
sung der Sieger aus ihrer Mitte dreißig Männer mit dem Auftrag, die
alte Staatsverfassung zn prüfen und ans derselben herauszuheben, was
von jetzt an als gesetzliche Norm in Athen zn gelten habe. Diesen ihren
eigentlichen Beruf aber ließen die Dreißig ganz außer Acht uud trachteten
nur die Demokratie nicht mehr aufkommen zu lassen und ihre eigene
Macht so sehr als möglich zu befestigen: zn diesem Ende besetzten sie die
öffentlichen Ämter und den Senat nur mit solchen Männern, die ihnen
durchaus ergeben waren. Dagegen erwarben sie sich ein Verdienst, indem