Der Streit um das spanische Erbe. IV 83—92.
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Karl II. und das spanische Volk hätten am liebsten den nächst¬
berechtigten Erben auf dem Thron gesehen: den siebenjährigen Kur¬
prinzen Joseph Ferdinand von Bayern, Leopolds Enkel aus seiner
ersten Ehe mit Karls II. Schwester. Aber der Prinz starb vor dem
König von Spanien. Nun bestimmte Leopold I. seinen zweiten Sohn,
den Erzherzog Karl, Ludwig XIV. seinen zweiten Enkel, zum König
von Spanien; jeder der beiden Monarchen wollte eine jüngere Linie
□ seines Hauses auf dem spanischen Throne sehen. □
In seinem Letzten Willen ernannte Karl den zweiten Enkel Lud¬
wigs XIV., den Herzog Philipp von Anjou, zu seinem Nachfolger;
Spanien sollte samt den Niederlanden, Mailand, Neapel nebst
Sizilien und Sardinien sowie „beiden Indien" an das bourbonische
Haus, aber nie an Frankreich fallen. Im Vertrauen auf sein Heer
von 200000 Mann stellte Ludwig den jungen Philipp V. seinem
Hos alsbald als König von Spanien vor: „Nun sind die Pyrenäen
weggeschmolzen", rief der spanische Gesandte.
* * Beide Gegner hatten sich von langer Hand auf den Krieg vor¬
bereitet ; das Testament Karls II. fand dabei so wenig Beachtung
wie der Verzicht auf die spanische Erbfolge, den Ludwigs Gemahlin
bei ihrer Vermählung ausgesprochen hatte. Ludwig XIV. schloß ein
Bündnis mit dem Kurfürsten von Bayern, dem Vater des ver¬
storbenen Thronerben, und dessen Bruder, dem Kurfürsten von Köln.
Damit nicht auch der Kurfürst von Brandenburg auf die fran¬
zösische Seite trete, sicherte der Kaiser nach langem Bedenken Fried-
rich III. die Anerkennung der Königswürde zu, die er sich beilegen
□ wollte. □
2. An demselben Tag, an dem Ludwig XIV. die spanische Erb¬
schaft annahm, unterzeichnete Leopold den Vertrag, durch den er
die Erhebung des Kurfürsten von Brandenburg zum König in
Preußen guthieß; die Kvnigswürde ruhte auf dem souveränen
Herzogtum Ostpreußen. Am 18. Januar 1701 setzte König Fried-
rich I. in Königsberg sich und seiner Gemahlin die Krone aufs Haupt,
nachdem er den Schwarzen Adlerorden gegründet hatte.
Dafür stellte er auf die ganze Dauer des Krieges 8000 Mann
seines erprobten Heeres in den kaiserlichen Dienst.
* *Kurz zuvor hatte Leopold die Schaffung einer neunten Kur-
würde für das Haus Braunschweig-Lüneburg (KurHannover) ge¬
nehmigt und sich dadurch in dem neuen „Reichs-Erzpannerherrn",