Full text: Die Weltgeschichte in zusammenhängender Darstellung für Schule und Haus

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floaten Vertriebenen massenweise sich in die verarmte Stadt drängten. So 
hatte es Lysander gewollt. Jetzt erst schloß er das ganz vereinsamte Athen 
zur See ein, während die spartanischen Könige es zn Lande belagerten. An 
dauernden Widerstand war nicht zu denken. Als die Hungersnot ausbrach, 
schickten die Bürger Theramenes zu Lysander, damit er mit diesem einen Ver¬ 
trag eingehe. So kam es zu einem Waffenstillstands, dem bald daraus der 
Friede folgte. Die Abgeordneten des peloponnesischen Bundes versammelten 
sich, um über die unglückliche Stadt zu richten. Theben und Korinth verlangten, 
daß sie dem Erdboden gleich gemacht und ihre Stätte für alle Zeiten verflucht 
werde, aber Sparta willigte nicht ein, „weil sich Athen einst große Verdienste 
um Griechenland erworben habe." Aber die langen Mauern nebst allen 
Festungswerken sollten niedergerissen und die Schiffe bis auf 12 ausgeliefert 
werden. Auch die Verfassung sollte nach dem Muster der spartanischen um¬ 
geändert werden. Es geschah. Unter Flötenspiel und Gesang ließ Lysander 
die Mauern, den Stolz Athens, abbrechen. Dann wurde eine aristokratische 
Regierung von 30 Mitgliedern eingesetzt, Theramenes und Kritias waren die 
einflußreichsten unter diesen „Tyrannen". So endete der peloponnesische Krieg, 
nachdem er 271/2 Jahre gewütet hatte, 404. 
Athen kam noch nicht sogleich zur Ruhe. Die 30 Regenten hatten zu¬ 
nächst nur die Gesetze zu prüfen und festzustellen, aber sie verfielen gar bald in 
Habsucht uud Willkür. Viele Bürger wurden hingerichtet, ihre Güter einge¬ 
zogen. Der grausamste war Kritias. Als der gemäßigtere Theramenes 
seine Gewaltmaßregeln nicht billigte, strich er ihn aus der Liste der dreißig 
und ließ ihn zum Tode verurteilen. Der spartanische Befehlshaber selbst 
mußte ihn vom Altare reißen, zu dem er sich geflüchtet hatte. In finsterem 
Unnmte trank Theramenes den Giftbecher. „Dies dem schönen Kritias!" rief 
er, den letzten Tropfen auf die Erde gießend. Solche Gewaltherrschaft konnte 
nicht von Dauer sein. Schon im nächsten Jahre (403) sammelten sich die aus 
Furcht vor dem Schreckensregiment geflüchteten Bürger unter Anführung des 
Thrasybul an der Grenze von Böotien, schlugen die Truppen der Tyrannen 
und bemächtigten sich des Piräus. Die Aristokraten riefen freilich nun die 
Spartaner zu Hilfe, allein zum Glück für die Athener war der spartanische 
König, welcher das Heer anführte, ein Gegner Lyfanders und hatte nichts 
dagegen, daß die von diesem getroffenen Einrichtungen umgestoßen würden. 
Die Dreißig mußten die Stadt verlassen, die Solonifche Verfassung gelangte 
wieder zur Geltung. An der Wand einer Säulenhalle auf der Burg prangten 
fortan in erneuter Schrift die alten Gesetze, aber der Geist des alten Athen 
war verschwunden. Keine Macht der Erde konnte den in Genußsucht und 
Gelderwerb versunkenen Bürgern die alte Einfachheit, Sittenstrenge und opfer¬ 
freudige Vaterlandsliebe zurückgeben. Man sah es deutlich, Athen war nicht 
der äußeren Gewalt erlegen, es war durch sich selbst besiegt worden. 
Der merkwürdige Mann, in dessen Wesen sich der Glanz und der Verfall 
Athens zu einer unheimlichen Macht verbunden hatten, Alkibiades, starb 
um diese Zeit eines gewaltsamen Todes. Die Spartaner fürchteten ihn auch 
nach dem Falle Athens und bestimmten deshalb den persischen Satrapen 
Pharuabazos*), bei welchem er sich damals aufhielt, ihn auszuliefern. Pharna- 
*) Im nördlichen Kleinasien.
	        
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