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Bruder Poseidon aber brach alle Dämme und ließ das Meer, sowie alle Ströme
sich über das Land ergießen. Da kam alles Lebende jämmerlich um. Nur
der gerechte Deukäliou (ein Sohn des Titanen Prometheus) und sein
frommes Weib Pyrrha wurden gerettet. Deukäliou hatte sich lange vorher
auf den Rat seines Vaters ein überdecktes Schiff gebaut, es mit Lebensmitteln
versehen und sich mit seinem Weibe darein geflüchtet, als die große Flnt kam.
So trieb er nun auf den hohen Wogen umher, bis Zeus alle die anderen
Menschen vertilgt hatte und sein Zorn sich legte. Als das Wasser sich wieder
verlies, landete er auf dem Parnafsosgebirge. Schnell ging er mit seinem
Weibe aus der Arche, aber kaum vermochte er sich seiner Rettung zu erfreuen,
denn ringsum war die Erde öde und leer. Trauernd stiegen die beiden Über¬
lebenden hinab in den verfallenen Tempel des Orakels zu Delphi. Hier warfen
sie sich nieder und baten die Götter, daß sie die öde Welt wieder mit lebenden
Wesen, vor allem mit Menschen erfüllen möchten. Da antwortete eine Stimme:
„Geht aus dem Tempel, verhüllet euer Haupt uud werft die Gebeine eurer
Mutter hinter euch." Lange schwankten die beiden, was sie thun sollten, endlich
glaubte Deukalion den Sinn der Worte erraten zu haben. „Unsere gemein¬
schaftliche Mutter", sagte er, „ist die Erde, ihre Gebeine sind die Steine, komm,
laß sie uns hinter uns werfen." Nun gingen sie hinaus und warfen Steine
hinter sich. Siehe, da erstanden aus den Steinen, die Deukalion warf, Männer
und aus denen der Pyrrha Weiber. So bevölkerte sich die Erde von neuem
mit Menschen, aus dem Schlamme aber, den die Flut zurückgelassen, drängten
sich in Menge Tiere und Pflanzen hervor. Deukalion und Pyrrha lebten
glücklich in der neuen Welt. Sie bekamen einen Sohn Hellen. Von diesem
stammten Äolos und Doros ab, von letzterem wieder Jon und Achäos.
Hellen war der Stammvater der Hellenen, nach seinen Söhnen und Enkeln
wurden die vier Stämme des hellenischen Volkes benannt.
2. Perseus.
Akrisios, dem König von Argos, war durch das Orakel verkündet
worden, daß sein eigner Enkel Perseus ihn töten werde. Deshalb ließ er
das Kind und dessen Mutter, seineTochte Danae, in einen hölzernen Kasten
einschließen und dem Meere übergeben. Lange wurden die Unglücklichen von
den Wogen umhergetrieben. Die arme Mutter betete zu Zeus, er möge sich
doch des Kindes erbarmen, daß es nicht elend verschmachte. Zeus nahm sich
der Verlassenen an. Unter seiner Obhut gelaugte der Kasten zu der Insel
Seriphos, wo denselben ein Fischer in seinem Netze an das Land zog. Die
Gefangenen wurden nnn aus ihrem Kerker befreit und zu dem Könige geführt.
Dieser nahm Mutter und Kind freundlich auf und erzog den Knaben. Als
Perseus zu einem stattlichen Jünglinge herangewachsen war, sehnte er sich nach
großen Thaten, denn er war kein gewöhnlicher Mensch, sondern ein Heros, der
von Zeus selbst abstammte. Der König, der ihn fürchtete, trug ihm auf, das
Haupt der Gorgo Medusa zu holen. Medusa war ein schreckliche» Wesen
in Jungsrauengestalt mit Flügeln und Schlangenhaaren. Ihr Antlitz war so
furchtbar, daß jeder zu Stein erstarrte, der sie ansah. Sie wohnte mit zwei
nicht weniger schrecklichen Schwestern am West ende der Erde, in einer finsteren
Einöde. Alle drei zusammen hießen die Gorgonen. Als Perseus sich auf