446 Deutsche Reichsgerichte. 
entspräche, so war der Kaiser bereit die Beschwerde entgegen zu nehmen, als 
Hüter des Rechts das Unrecht zu strafen und dem Verletzten das Seinige 
zu geben. Mit den Großen seines Reichs, mit den Grafen, Bischöfen und 
Äbten, welche sich an seinem Hofe gerade aufhielten, und mit den vor¬ 
nehmsten Hofbeamten saß er an vielen Tagen im Jahr zu Gericht. Aber 
diese kaiserliche Gerichtsbarkeit war weit von Cabinetsjnstiz entfernt. Denn 
der Kaiser ist es nicht, welcher den Streit entscheidet und das Urteil fällt. 
Strenge unterschied man in alter Zeit zwischen dem Richter und den Urteilern. 
Als Richter, den Gerichtsstab in der Hand, sitzt der Kaiser seinem Hofgericht 
vor; aber die Bischöfe, Grafen und sonstigen Beisitzer finden ihm das Urteil. 
Der Kaiser spricht nicht Recht, sondern er leitet das Verfahren, verkündet 
Las Urteil und sorgt für dessen Ausführung. 
Wie wenig war aber diese Institution geeignet, den Bedürfnissen der 
Wirklichkeit in genügender Weise Abhilfe zu schaffen! Was vermochten die 
besten Einrichtungen und der aufrichtigste Wille des Königs, wo so viele 
unüberwindliche Hindernisse der Durchführung des Rechts entgegenstanden! 
Welche Not machte es dem Verletzten, besonders wenn er den untern, wenig 
bemittelten Schichten der Gesellschaft angehörte, auf den ungebahnten Wegen 
aus den entfernten Gegenden des Reichs die weite Reise an des Königs 
Hof zu unternehmen und dort seine Klage anzubringen! Wie wußte man 
denn, wo der König sich jetzt aufhielt, oder wo er fpäter, wenn man ihn 
etwa erreichen konnte, sein Hoflager haben würde, ob er nicht vielleicht einen 
weiten Heereszug unternommen hätte, der ihn lange von der Erfüllung 
seiner gerichtsherrlichen Pflichten zurückhielt! Und wenn man den König 
glücklich erreicht hatte, wie lange dauerte es dann, bis der Gegner vor des 
Königs Hof entboten war. 
War fchon zu Karls d. Gr. Zeiten die Reichsgerichtsbarkeit vielfach 
gelähmt, so war das unter seinen schwächeren Nachfolgern in viel höherem 
Maße der Fall. Mit der Zerstörung der Einheit des Reichs verkommt 
auch die Gerichtsbarkeit des Kaisers. So wie die einzelnen Rechte der Staats¬ 
gewalt Schritt vor Schritt an die Landesherrn gelangen und die staatlichen 
Aufgaben in immer weiterem Umfange vom Reich auf die Territorien über¬ 
gehen, so tritt auch die Gerichtsgewalt des Kaisers immer mehr in den 
Schatten. Jetzt erscheint der Landesherr als Inhaber der Gerichtsgewalt 
und sucht eifersüchtig die Eingriffe der Reichsgerichtsbarkeit abzuwehren. 
Wesentlich nur dann, wenn Territorialherren oder sonstige Reichsstände mit 
einander im Streit liegen, wird der Kaiser angerufen, und auch dann ist 
seine Gerichtsbarkeit eine lahme Justiz. Wieviele Kaiser haben jahrelang, 
in an che den großem Teil ihrer Regierungszeit außerhalb der Grenzen des 
deutschen Reichs zugebracht! Öfter stritten mehrere Prätendenten um den 
Thron; ist der König gestorben, so fehlt es während des Interregnums bis 
zur Wahl des neuen Königs an jedem Herrn, welcher die streitsüchtigen 
Vasallen vor sein Formn hätte ziehen können. An Stelle der Klage wurde 
Fehde erhoben; statt des Richtersprnchs entschied jetzt rohe Gewalt. Wer
	        
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