Soldatenleben im 18. Jahrhundert. 471 
Lieblingen vertreten, eine Musterkarte von Abenteurern, Verbrechern, Tage¬ 
dieben und Lebensschiffbrüchigen. Wo man im In- oder Auslande einen 
hochgewachsenen Burschen entdeckte, da galt jeder Weg für erlaubt, seiner 
habhaft zu werden, Ackerknechte führte mau vom Pfluge weg, Studenten 
aus ihren Wohnungen. Um einen im Herzogtum Jülich wohnenden, be¬ 
sonders langen Tischlermeister zu erlangen, bestellte man bei ihm eine höl¬ 
zerne Kiste, die genau so lang und breit ausfallen müsse, wie der Meister 
selbst sei. Als sie in Empfang genommen werden soll, wird sie für nicht 
groß genug erklärt. Um die Besteller vom Gegenteil zu überzeugen, legt 
sich der Meister in dieselbe. Da wird schnell der Deckel festgenagelt und 
die Kiste fortgeschafft. Am Bestimmungsorte angelangt, sand man den 
Meister erstickt vor. Je nach dem Leibesmaß des Rekruten richtete sich das 
Handgeld für den Angeworbenen. Ein Mensch von sechs Fuß Länge galt 
dreihundert Thaler, einer von fünf Fuß elf Zoll nur zweihundert. 
Das Werbesystem war in den meisten deutschen Heeren während des 
18. Jahrhunderts und bis zum Schlüsse desselben in vorherrschendem Ge¬ 
brauche. Die wenig entwickelten Arbeits- und Erwerbsverhältnisse der meisten 
Länder ließen das Kriegshandwerk als einen vorteilhaften Erwerbszweig 
erscheinen, und so kam es, daß jeder Werberuf immer eine große Anzahl 
Freiwilliger fand. Denjenigen deutschen Fürsten, welchen die Pflege der 
Gewerbsthätigkeit und das Wachstum der Bevölkerung ihrer Länder am 
Herzen lag, erschien es als ein unzweifelhafter Gewinn, die nötigen Kräfte 
zur Ergänzung ihrer Heere aus anderen Ländern zu ziehen, statt im eigenen 
Lande den Bauer vom Pfluge und den Handwerker aus seiner Werkstatt 
hinwegzureißen. Umsomehr traten in den Reichsstädten und in den kleineren 
geistlichen und weltlichen Gebieten, welche von kaiserlichen und kurfürstlichen 
Werbeoffizieren durchzogen wurden, die sittlichen und volkswirtschaftlichen 
Nachteile des Werbesystems in grellster Form zn Tage. Daß man sogar 
ausländischen Mächten Werbungen im Reiche gestattete und diese Erlaubnis 
auch dann nicht immer zurücknahm, wenn zwischen einer solchen Macht und 
dem Reiche selbst ein Konflikt drohte, gehörte zu jenen Ungeheuerlichkeiten, 
welche nur bei einem Zustande gänzlicher innerer Auflösung, wie ihn das 
deutsche Reich damals schon darstellte, möglich waren. In Frankreich gab 
es mehrere Regimenter, die fast nur aus Deutschen bestanden, zusammen 
etwa 12 000 Mann. Sie stauben seinerzeit unter dem Befehle des Mar¬ 
schalls Moritz von Sachsen. 
Der Faulheit und der Liederlichkeit boten die Werbeplätze eine will¬ 
kommene Zufluchtsstätte. Handgeld zu nehmen und den bunten Rock des 
Kaisers oder des Königs von Preußen anzuziehen, erschien vielen bequemer, 
als durch Arbeit sich einen redlichen Erwerb zu suchen. Verbrecher fanden 
hier nicht selten Schutz vor der Gerechtigkeit und waren sroh, um diesen 
Preis einem härteren Schicksal zu entgehen. Vagabunden wurden von 
Polizei wegen, ungeratene Söhne von den Eltern oder Vormündern „zur 
Korrektion" unter die Soldaten gesteckt. Bankerotte Kaufleute, erwerbs-
	        
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