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der Freude zog über sein Gesicht, als er den Sohn er¬
kannte. Er winkte ihn an sein Lager, und Hermann
knieete an demselben nieder, ergriff die einst so starke,
jetzt schlaff herabhängende Rechte seines Vaters und be¬
deckte sie mit seinen Küssen und mit Thränen kindlicher
Liebe. Der Gaugraf aber sprach mit zum Himmel ge¬
richtetem Blick: „Herr, nun lässest Du Deinen Knecht in
Frieden dahinfahren, da ich zuvor noch habe das Angesicht
meines Sohnes sehen dürfen". Mühsam, kaum den Um¬
stehenden verständlich, hatte er diese Worte gesprochen,
welche seine letzten auf dieser Erde sein sollten. Die
Freude über das Wiedersehen hatte den nur noch schwach
glimmenden Lebensfunken rasch zum Verlöschen gebracht,
und als im Osten die Morgenröte aufstieg, verließ die
edle Seele dieses echt deutschen Mannes ihre gebrechliche
irdische Hülle, um einzugehen in die Wohnungen der
Seligen. Am Lager aber standen das treue Weib des
Entschlafenen, seine Tochter und sein ritterlicher Sohn,
zwar trauernd über den unersetzlichen Verlust, aber doch
fröhlich, daß der letzte sehnlichste Wunsch ihm erfüllt
worden war.
Auf freier, weiter Heide, neben dem Grabe seines
bewährten Freundes Wichmaun, wurde dem teuren Entschla¬
fenen die letzte Rnhstatt bereitet; so war es sein eigener Wunsch
gewesen. Dort betteten die Männer seines Gaues den
entseelten Leib ihres Richters, der niemals jemand unrecht
gethan, der ein treuer Wächter des Gesetzes gewesen war
sein Lebenlang. Jetzt sind Jahrhunderte dahingerollt und
niemand weiß mehr die Stätte, wo sie ihn hingelegt.
Heideblumen bedecken vielleicht die beiden Gräber, und
der Fuß des einsamen Schäfers schreitet achtlos über die¬
selben dahin; vielleicht zieht der Landmann mit der
Pflugschar lange Furchen über dieselben; vielleicht sind
sie mit Brombeeren und auderm Gestrüpp bewachsen,
aus welchem im Frühjahr die Nachtigall ihr klagendes
Lied erschallen läßt. Aber unvergessen ist der Name
des Edlen bis auf den heutigen Tag, und eher werden
die sieben Steinhäuser ganz in den Boden sinken, als