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vorbei sei? Als ich heute abend in den Wald ging, um
dort an dem einsamen Kreuze — Du kennst den Platz —
zu beten, da sah ich, daß ein Weib mir zuvorgekommen
war. Leise wollte ich mich zurückziehen; da begegneten sich
unsere Blicke, und was sah ich? Eine Dame meiner
früheren Bekanntschaft aus den Kreisen, in denen ich
viel verkehrte in der Zeit, als ich noch mit Roß und
Mann zu Ritterspiel und Turnei zog. Auch sie erkannte
mich und nannte mich bei meinem rechten Namen. Und
ob ich gleich nicht glaube, daß sie absichtlich zur Ver¬
räterin an mir wird — wie leicht kann nicht der Zufall
zur Entdeckung führen? Und siehe, darum plagt mich
jetzt der Zweifel, was ich tun soll. Soll ich bei Nacht
und Nebel von hier entweichen und Euch wiederum
zwingen, ein unstetes Wanderleben zu führen, oder soll
ich dem Schicksale trotzig die Stirn bieten und abwarten,
was die Zukunst bringt? Und in diesem Zweifel habe
ich gefleht zu Gott, daß er Dir ins Herz gebe, was ich
tun soll. Bei Dir, meine Irmgard, soll deshalb die
Entscheidung liegen; Du sollst mir raten, und ich ver¬
spreche Dir, daß ich Deinen Worten folgen werde."
Tiefe Stille herrschte in dem kleinen Gemach nach
diesen Worten des Ritters; man hörte nichts als das
Ticken des Holzwurms in dem Getäfel der Wände. End¬
lich sprach Irmgard: „Bei mir, sagst Du, soll die Ent¬
scheidung liegen? Du weißt, daß ich damals, als ich
meine Hand in die Deinige legte, Dir gelobt habe, treu
bei Dir auszuharren in jeder Not und Bedrängnis; und
ob ich mich gleich freue, daß wir hier jetzt einen festen
Boden unter uns und ein festes Dach über uns haben,
so werde ich doch keinen Augenblick zaudern, wiederum
den Wanderstab zu ergreifen, wenn es für Deine und
für unsere Sicherheit nötig ist. Aber es ist nicht nötig.
Noch lebst Du unangefochten, und wer weiß, ob jemals
Dein Geheimnis offenbar wird. Und dann vergiß nicht,
daß Du jetzt nicht mehr so schutzlos und wehrlos bist, wie
ehedem. Du hast ein festes Haus, mit Graben und
Zugbrücke versehen, das dem ersten Angriff stand zu
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