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Mittel schöpfte, einen zwar nicht trivialen, aber doch auch nicht gerade
außerordentlichen Vorgang in einem idealen Lichte erscheinen zu lassen.
Aber doch trat diese Poesie, die bis an die Schwelle des Dramas geführt
hatte, weit hinter diesem zurück. Denn dem Drama wandten sich alle
Förderungsmittel entgegen: die Gunst der Menge, der Wetteifer der
Wohlhabenden in Ausstattung der Chöre, die Ausbildung der Orchestik,
der Architektonik, der Bühnenmalerei: vor allem aber die Vielseitigkeit
und Dehnbarkeit der neuen Form selbst, die dem Dichter gestattete, alles
Große und Schöne, dessen sein Herz voll war, auf die wirksamste Weise
zu sagen. Die Stoffe drängten sich ihm in reichster Auswahl zu: die
Menge der Sagen, der Götter- und Heroenlegenden lagen in unerschöpf¬
licher Fülle vor seinem Geiste, der zugleich durch die Lyrik, die Philo¬
sophie, die erwachende Geschichtschreibung den Antrieb und die Fähig¬
keit erhielt, den sittlich-religiösen Gehalt dieser Mythen herauszufinden
und Weisheit in den Formen dichterischer Schönheit zu lehren. Dazu
war der große Aufschwung der Nation in den Perserkriegen gekommen:
man hatte eine Tragödie voll der erschütterndsten Wirkung selbst erlebt,
kecken Hochmut in den Staub gestürzt, schwere Schuld der Überhebung
furchtbar gerächt; und der enge Zusammenhang zwischen dieser Wirk¬
lichkeit und jener Dichtung spricht sich in der alten Überlieferung aus,
nach welcher von den drei hervorragenden Tragikern jener Zeit Äs chylos
am Tage von Salamis mitgekämpft hatte, Sophokles den Chorreigen
bei der Siegesfeier mittanzte, Enripides an dem glorreichen Tage ge¬
boren war.
Die bedeutungsvolle Wirksamkeit des Enripides fällt in eine etwas
spätere Zeit; von den beiden ersteren war Äschylos, Cnphorions Sohn,
im Jahre 525 zu Eleusis geboren. Früh trat er mit Dramen auf und
widmete sich mit ernstem und großem Sinne seiner Dichtung als einem
Berufe. Was die Lehrer für die Knaben, läßt ihn Aristophanes sagen,
das sind die Dichter für die Gereisten: er übte selbst seine Dichtungen ein
und lehrte die Choreuten, die ihm der Archon Bafileus für das nächste
Dionysienfest zuwies und die irgend ein reicher Bürger, der sich zur
Übernahme dieser Ehrenpflicht erbot, ausstattete. Dann rief auch ihn
die vaterländische Pflicht in die Waffen. Bei Marathon, bei Salamis,
bei Platää focht er in den Reihen der athenischen Hopliten. Im Jahre
472 wurde die Trilogie ausgeführt, in welcher er den großen Ereignissen
ein erhabenes Denkmal setzte und von der uns glücklich das mittlere der
drei Stücke, „die Perser", erhalten ist. Man kann sich denken, wie die
Menge im Theater sich drängte, wie sie atemlos lauschte, als der Chor
persischer Fürsten auftrat und feine bangen Ahnungen um das ferne
Heer ausfprach — als die Königin, Terxes' Mutter Atoffa, hervortrat und
ihr furchtbares Traumgeficht erzählte, schreckliche Zeichen am Opferherd,
ein Adler, der sich zum Altar geflüchtet, wehrlos den fcharfen Klauen
eines Habichts preisgegeben — als der Bote die Szene betrat und, bald