Full text: Quellenlesebuch zur Geschichte der Provinz Hannover

54. Napoleons Zug nach Rußland. 1812. 
117 
Feuerschlünde an uns vorüber fuhren, da bemächtigte sich eine stille 
Ehrfurcht unsrer aller Herzen vor dem Manne, auf dessen Wink diese 
Tausende von Kriegern sich in Schlacht und Tod, in alle Mühselig¬ 
keiten eines gefahrvollen, langwierigen Feldzuges stürzten. . . . Wir 
vergaßen, daß wir unter dem Besieger Deutschlands kämpften; wir 
sahen in Napoleon den gewaltigen Helden des Jahrhunderts. . . . 
Niemand von uns dachte daran, daß diese herrliche Armee in wenigen 
Wochen ein Bild des Elends, der Auflösung und der Verwirrung 
darbieten könnte. . . . 
Schon während des ganzen Feldzuges hatte uns Deutsche das 
Los getroffen, immer hinter der französischen Armee zu marschieren. 
Auch von dem Schlachtfelde von Smolensk ab bildeten wir den 
Nachtrab; jedoch folgten wir freudig. Bald sollte Moskau vor uns 
liegen, Moskau, das Ziel aller unserer Gefahren und Mühen. Was 
erwarteten wir nicht alles in Moskau, dieser alten ehrwürdigen Stadt 
der Zaren? Die Kreuzfahrer im 12. Jahrhundert können sich nicht 
so sehr nach dem Anblick von Jerusalem gesehnt haben, wie wir nach 
dem von Moskau. . . . 
In Dorogebusch sahen wir zum ersten Male während dieses 
Feldzugcs den Kaiser Napoleon; er stand dicht vor dieser Stadt auf 
einer kleinen Anhöhe neben der großen Straße, und wir marschierten 
mit geschultertem Gewehr unter dem Rufe: „ Vive l’empereur!" an 
ihm vorüber. . . . Die russischen Generale hielten noch nicht Stand, 
und wir folgten noch immer der feindlichen Armee auf der Straße 
nach Moskau. Unser Korps stand sich dabei sehr schlecht, weil es 
das letzte war, und die russischen und französischen Truppen das 
Wenige, was vielleicht an Nahrungsmitteln und dergleichen noch zu 
erhalten gewesen wäre, immer im voraus genommen hatten. Wir 
mußten uns daher mit Pferdefleisch begnügen, und so widrig uns 
der Genuß desselben im Anfang auch war, so schätzten wir uns 
später glücklich, wenn wir nur Pferde zu verzehren hatten und hielten 
es für die größte Delikatesse, wenn die Tiere erst frisch gefallen und 
bei der großen Hitze noch nicht in Verwesung übergegangen waren. . . . 
Fouragier-Kommandos kamen gewöhnlich leer zurück oder hatten die 
Flucht nehmen müssen. Zwei kamen überhaupt nicht wieder; sie 
waren von russischen Bauern erschlagen. ... Es war hohe Zeit, 
daß wir bei der großen französischen Armee anlangten. Mutlosigkeit 
und Unlust bemächtigten sich vieler Soldaten, und sie murrten, wünschten 
ihren Tod herbei und verfluchten das tolle Unternehmen, eine leere 
Wüste erobern zu wollen. . . . 
Wir kamen endlich am 6. September des Abends spät im 
Säger von Borodino an und mußten durch das ganze Lager der 
großen Armee marschieren, weil wir, wie es unter Napoleon immer 
das Los der Deutschen war, den ersten Angriff machen sollten, wenn 
es zur Schlacht käme. Überall brannten schon die Wachtfeuer,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.