Full text: Vom Interregnum bis zum Westfälischen Frieden (Teil 2)

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Verwandten in die Kirche ging. Schon seit dem 8. Jahrhundert 
forderten aber die Geistlichen Anteilnahme an der Eheschließung. 
Dem fügten sich zuerst fürstliche Familien, woraus die Vornehmen 
nachfolgten. Im Volke kam dem Verlangen der Kirche die Er¬ 
innerung an den heidnischen Brauch, bei Eheschließungen den Rat 
der Götter zu erkunden, entgegen, und Schicksalsbefragungen, z. B. 
am Andreasabend, waren ja wie heute schon immer üblich. Die 
Geistlichen suchten die heidnischen Bräuche auszurotten und ihren 
Einfluß geltend zu machen, und so kam es, daß nach und nach 
die rechtliche Eheschließung aus dem Hanse in die Kirche verlegt 
wurde. Damit ging die Verlobung in ihrer früheren Bedeutung 
zurück; dafür wurde bei der Eheschließung die kirchliche Trauung 
mit dem Hochzeitsschmaus die Hauptsache. 
Den Abschluß der Hochzeit bildete, wenn nicht das junge Paar 
im Hanse der Eltern wohnen blieb, die Heim- oder Überführung 
der Braut ins neue Heim. Dabei saß sie mit offenem Haar, den 
Spinnrocken in der Hand, auf dem mit ihrer Aussteuer beladenen 
Wagen, während der Bräutigam mit feinen Gesellen an der Seite 
ritt. So zog die juuge Frau unter dem Spiel ber Musikanten 
und Beachtung verschiedener Formen frohgemut in ihrem neuen: 
Wirkungskreise ein. Hier im Hause, innerhalb ber Familie, voll¬ 
zog sich der größte Teil ihres Lebens. Doch wie das Rittertum 
die Frau zu den geselligen und festlichen Veranstaltungen zugezogen 
hatte, gestattete auch das gesellschaftliche Leben in den aufblühen¬ 
den Städten den Frauen die Teilnahme an den Volksbelustigungen, 
an Gelagen und Tänzen. Das Weib trat damit mehr als früher 
aus dem engen Rahmen der Häuslichkeit heraus, mußte sich aber 
auch gefallen lassen, mehr als ehemals Gegenstand des Gesprächs 
und des Klatsches zu werden. 
Aber nicht allen Jungfrauen war es vergönnt, eine Ehe ein¬ 
zugehen; denn das weibliche Geschlecht war schon damals an Zahl 
dem männlichen überlegen. Auch darf man nicht außer acht lassen, 
daß ein nicht unwesentlicher Teil von Männern dem geistlichen 
Stande angehörte, also ehelos bleiben mußte. Infolgedessen blieben 
viele Frauen unverheiratet, so daß ähnlich wie heute die Versorgung 
alleinstehender Personen weiblichen Geschlechts eine wichtige Frage 
bildete. Viele von ihnen wandten sich daher einem Berufe zu 
und wurden auch, soweit es möglich war, im Handwerk beschäftigt. 
Namentlich die Webindustrie und die Anfertigung der Kleidung 
bot in dem Spinnen, Spulen, Bortenwirken, Stricken, Nähen usw.
	        
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