Full text: Vom Westfälischen Frieden bis zur Gegenwart (Teil 3)

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ein neues Wahlgesetz, nach dem durch allgemeines Stimmrecht 
eine Volksvertretung, die preußische Nationalversammlung, zustande 
kam, die eine ähnliche Zusammensetzung wie das Frankfurter Par¬ 
lament auswies und am 22. Mai 1848 zusammentrat, um über 
eine neue Verfassung zu beraten. Bald trat aber ein scharfer 
Gegensatz zwischen der Rechten und der Linken hervor. Diese neigte 
fortwährend zu revolutionären Kundgebungen; es kam infolge¬ 
dessen wiederholt zu Beschimpfungen von Ministern und sogar 
zum Sturm auf das Zeughaus. Mehrmals wechselte das Mini¬ 
sterium, der Köuig zeigte wenig Entschiedenheit. Da schloß sich 
aber die Rechte enger an ihn an und vermochte der Linken bei 
manchen Anträgen eine Mehrheit entgegenzusetzen; aber oft führten 
die Beratungen zu stürmischen Szenen. Als dann auf Antrag der 
Linken in der Verfassung die Worte „von Gottes Gnaden" ge¬ 
strichen wurden und die Versammlung die Abschaffung des Adels 
und der Orden beschloß, kam es zwischen ihr und der Krone zum 
Bruche. Der Präsident, der am 15. Oktober dem König die Glück¬ 
wünsche zum Geburtstage aussprach, erhielt eine scharfe Antwort, 
in der Friedrich Wilhelm IV. seinen Unwillen und die feste Ab¬ 
sicht, Ruhe und Orduuug wieder herzustellen, unzweideutig zum 
Ausdruck brachte. Die fortwährenden Tumulte sollten also ein 
Ende nehmen. 
Am 1. November wurde der als schneidiger General bekannte 
Graf Brandenburg zum Ministerpräsidenten berufen, am 9. No¬ 
vember die Nationalversammlung vertagt und für die weiteren 
Sitzungen Brandenburg als Versammlungsort bestimmt. Die Linke 
erhob Einspruch dagegen, und 282 Mitglieder der Nationalversamm¬ 
lung blieben in Berlin beisammen. Da rückte General Wränget trotz 
verschiedener Drohbriefe mit den Truppen unter klingendem Spiel in 
Berlin ein und zwang die Abgeordneten anseinanderzugeheu. Die 
Bürgerwehr wurde entwaffnet und über Berlin der Belagerungs¬ 
zustand verhängt. Damit war die Revolution zu Ende. Die Stadt 
erhielt wieder das Aussehen des Friedens, und die Bevölkerung 
beruhigte sich, wozu Wrangel durch seinen Humor nicht wenig 
beitrug. 
In Brandenburg sollte die Nationalversammlung am 27. No¬ 
vember ihre Sitzungen wieder aufnehmen; aber infolge des Fern¬ 
bleibens der Linken blieb sie beschlußunfähig, so daß sie am 5. De¬ 
zember der Auflösung verfiel. Der König erließ daraus aus eigner 
Machtvollkommenheit eine konstitutionelle Verfassung, was zunächst
	        
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