fullscreen: Deutsches Lesebuch für Bürgerschulen (Teil 3 = 6., 7. u. 8. Schulj., [Schülerbd.])

Held teuer gewesen. Besonders aber jammerte Siegmund, der alte 
König, der nun des herrlichen Sohnes beraubt war. Niemand 
konnte ihn und Kriemhild trösten. Man mußte jedoch daran denken, 
den Toten zu bestatten. Es wurde ein Sarg bereitet von Silber und 
Gold, in ihm trug man den Helden in der Frühe zum Münster unter 
dem Klange der Glocken und dem Gesang der Geistlichen. Unter dem 
Gefolge befand sich auch Günther und selbst der treulose Hagen. Um 
den Mörder vor allen Leuten zu überführen, sprach Kriemhild: „Wer 
unschuldig ist an dem Morde, der trete getrost an den Toten heran; 
wenn aber der Mörder in der Nähe ist, so werden die Wunden wieder 
bluten." Als nun Hagen herantrat, stoß das Blut wieder so stark aus 
den Wunden wie zuvor, als Siegfried getötet wurde. Da erkannten 
alle, daß Hagen der Mörder war. Mit großer Pracht und unter- 
lautem Weinen und Klagen des Volkes wurde Siegfried in Worms 
begraben. — Traurig kehrte König Siegmund nach Niederland heim, 
um für den Enkel zu sorgen, Kriemhild aber blieb in Worms zurück 
und sann Tag und Nacht darüber nach, wie sie den Tod ihres teuern 
Mannes an den Mördern rächen könnte. So lebte sie in der Stille 
dreizehn Jahre. Um sie zu versöhnen, ließ Günther den großen Schatz, 
den Hort der Nibelungen, nach Worms bringen und lieferte ihn der 
Schwester aus. Als sie nun aber reiche Spende von diesem Schatze 
gab, fürchtete Hagen, sie werde sich mit dem Gute zu viele Freunde 
erwerben; daher raubte er ihr den Hort und versenkte ihn tief in den 
Rhein. Durch diese Gewalttat wurde Kriemhild aufs neue zur Rache 
entflammt. 
2. Kriemhildens Rache. 
König Etzel. Fern im Lande der Hunnen wohnte der mächtige 
König Etzel, der über viele Reiche und Könige gebot. Da hörte er 
von der Schönheit der Kriemhilde im Burgundenland und beschloß, um 
sie zu werben. Der Markgraf Rüdiger von Bechlaren übernahm die 
Werbung und erschien in Worms. Wohl waren die Brüder geneigt, 
die Schwester fortziehen zu lassen, nur Hagen riet entschieden davon 
ab, denn er fürchtete Unheil. Kriemhild selbst antwortete dem Boten: 
„Wenn ihr, Markgraf Rüdiger, meines Herzeleids kundig wäret, so 
würdet ihr mir zu einem zweiten Manne nicht raten, nachdem ich den 
besten verloren habe." All sein Zureden blieb vergeblich, bis er ins- 
geheim ihr gelobte, das Leid, das ihr jemand zugefügt habe, zu 
rächen. Da sagte sie zu und zog in Begleitung des edlen Markgrafen 
von dannen. Bis zur Grenze des Landes geleiteten sie die Brüder.
	        
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