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Geschichte des Alterthums. — Morgenländische Völker.
sich kommen. Cyrus stand unerschrocken vor ihm und sagte mit Freimüthig¬
keit: er sei von den Knaben im Spiel zum Könige erwählt worden und
habe sich seines Rechtes bedient. Der Muth des Knaben, sein Stolz und
einige Züge, die den Astyages an seine Tochter erinnerten, machten den
König aufmerksam. Er erkundigte sich bei dein Hirten, und dieser gestand
alles. Doch hatte Astyages den Knaben liebgewonnen und schickte ihn
seiner Tochter nach Persien; an dem Harpagus aber, welcher den Befehl,
das Kind zu tödten, nicht vollzogen hatte, nahm er blutige Rache. Er
ließ heimlich des Harpagus Kind tödten und einige Stücke davon kochen,
die er dem Vater zu esien gab. Nach der Mahlzeit entdeckte der König
ihm, was er gegessen habe und sagte, dies sei die Strafe seines Ungehorsams.
Der beleidigte Vater verbarg zwar seine Wuth und schwieg; aber er
wartete nur auf eine schickliche Gelegenheit, sich zu rächen.
Cyrus am Hofe des Astyages. Den Astyages beruhigten indeß die
Traumdeuter durch die Erklärung: sein Traum sei dadurch erfüllt, daß
Cyrus von den Knaben zum Könige erwählt worden. Nach einigen Jahren
ließ der Großvater den Enkel mit Mandane nach Medien kommen. Der
junge Cyrus, in der strengen kriegerischen Lebensweise der Perser auferzogen,
konnte sich des Lachens kaum enthalten, als er an dem Hofe des Astyages
alles so weibisch geputzt sah. Er sprang aus Astyages zu, siel ihm um
den Hals und rief: „O, was ich für einen schönen Großvater habe!" Seine
Mutter fragte ihn lächelnd, ob er denn schöner wäre, als sein Vater?
„Unter den Persern", antwortete Cyrus, „ist mein Vater der schönste; aber
unter den Medern habe ich keinen gesehen, der so schön wäre als mein
Großvater". — Dem Alten gefiel die Antwort. Er beschenkte den Knaben
reichlich, und bei Tische mußte Cyrus immer neben ihm sitzen. Dem Cyrus,
der an die Mäßigkeit der Perser gewohnt war, dünkte es sonderbar, daß
man so vielerlei Speisen auftrug. Er sah lange zu. Endlich sagte er
zu dem alten Könige: „Aber lieber Großvater! Du hast doch schrecklich viel
Mühe, satt zu werden, wenn du von allem essen mußt". Astyages lachte
und sprach: „Glaubst du denn, daß dies hier nicht viel besser sei, als eure
persischen Mahlzeiten?" „Ich weiß nicht", antwortete Cyrus; „aber wir
werden viel schneller und leichter feilt als ihr. Uns ist Brod und Fleisch
genug, um satt zu werden: ihr aber, ach! was braucht ihr für Arbeiten
und Umschweife, bis ihr so weit kommt!" — Mit Erlaubnis; des Alten
vertheilte er darauf von den Speisen unter die Diener; nur oem Mund¬
schenk gab er nichts. Der König, welcher denselben aber liebte, fragte den
Cyrus "im Scherz: „Warum giebst du diesem nichts, dertjeh doch so lieb
habe?" — „Und warum hast du ihn lieb?" fragte Cyrus. „Siehst du nicht",
antwortete der König, „wie schön er den Wein eingießt und kostet, und
mir zureicht?" — „O", rief Cyrus, „das kann ich so gut, als er, und noch
besser; denn ich will dir den Becher nicht halb austrinken, wie er". Darauf
nahm er den Becher, goß aus der Schaale Wein ein und reichte ihn dem
Könige. „Aber", sprach der Alte, „du mußt den Wein erst kosten". „Das
laß ich wohl", rief der Kleine; „denn ich weiß, es ist Gift darin. Ich habe
das neulich wohl bei deinem Gastmahl gesehen!" — „Wie das?" rief der
Alte. — „Wißt-ihr nicht mehr, wie ihr von Verstand und Sinnen kämet,
so bald er euch zu trinken gegeben hatte? Was war das für ein Lärm!
wie habt ihr durcheinander geschrieen und gelacht! Die Sänger schrieen sich
die Kehlen heiser; kein Mensch verstand sie, und doch rieft ihr alle: Wunder!
So lange ihr saßt, sprach jeder von seiner Stärke; sobald ihr aufstandet
zum Tanzen, fielet ihr über eure eigenen Füße. Ihr wußtet alle nicht mehr,
was und wer ihr seid! du nicht, dct| du König bist, und die nicht, daß sie,
Unterthanen sind". — „Aber", sprach Astyages, „wenn dein Vater trinkt,