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45. Eine Schwertleite.
Der Herr Kardinal, der in bischöflichem Schmucke dastand, sprach zu
den: Knappen: „Es gebührt sich für jeden Ritter, daß er hochgemut, edel-
gefiuut, freigebig, tadellos und ehrenhaft sei: hochgemut im Unglück, edel¬
gesinnt gegen seine Verwandten, freigebig in aller Ehrbarkeit, tadellos in
ritterlichen Sitten und ehrenhaft in männlicher Tüchtigkeit. Ehe du das Ge¬
lübde ablegst, höre mit reiflicher Überlegung die Gesetze der Ritterschaft: Zu¬
nächst mit demütiger Eriunernng an das Leiden Christi täglich eine Messe
zu hören, für deu Glauben kühn das Leben einzusetzen, die heilige Kirche und
ihre Diener von allen, die ihr Gewalt anthun, zu befreien, Witwen und Waisen
in ihrer Not zu schützen, ungerechte Kriege zu vermeiden, ungehörige Dienste
zu versagen und ungerechten Sold auszuschlagen, für die Rettung jedes Un¬
schuldigen einen Zweikampf zu bestehen, Turniere nur der ritterlichen Übung
wegen zu besuchen, dem römischen Kaiser in allen weltlichen Dingen ehrfurchts¬
voll zu gehorchen, das Reichsgut unangetastet in seinem Bestände zu lassen,
Lehensgüter des Königs oder Kaisers auf feine Weise zu veräußern und vor
Gott und Menschen unsträflich in dieser Welt zu wandeln. Wenn du diese
Gebote der ritterlichen Regel demütig bewahrest und, soviel es dir möglich
ist, eifrig erfüllest, so sei gewiß, daß du zeitliche Ehre hier auf Erden und
nach diesem Leben die ewige Ruhe im Himmel erwerben wirst."
Hierauf legte der Kardinal die Hände des Knappen auf das Meßbuch
über das gelesene Evangelium und fragte: „Willst du nun die Ritterwürde
im Namen Gottes demütig empfangen und die Regel, die dir Wort für Wort
vorgesagt worden ist, nach Kräften halten?" Der Knappe antwortete: „Ja,
ich will es."
Darauf übergab der Herr Kardinal dem Knappen das Gelöbnis,
und der Knappe las dasselbe folgendermaßen laut vor allen Anwesenden
ab: „Ich, Wilhelm. Graf von Holland, des heiligen Reiches freier Lehns¬
mann, gelobe eidlich die Beobachtung der ritterlichen Regel im Beisein des
Herrn Peter, Kardinals und Gesandten des päpstlichen Stuhles, bei dem
heiligen Evangelium, das ich mit meiner Hand berühre." Der Kardinal
sprach danach: „Dieses demütige Gelöbnis helfe dir zur Vergebung deiner
Sünden! Amen."
Als dieses gesagt worden war, gab der König von Böhmen dem Knappen
einen Schlag an den Hals und sprach: „Zur Ehre des allmächtigen Gottes
nehme ich dich zum Ritter an und empfange dich mit Glückwunsch in unserer
Genossenschaft. Aber gedenke, wie der Heiland der Welt vor Hannas, dem
Hohenpriester, für dich geschlagen, vor Pilatus verspottet und gegeißelt und
mit Dornen gekrönt, vor dem Könige Herodes mit einem Mantel bekleidet
und verhöhnt und vor allem Volke an das Kreuz gehängt worden ist! An
dessen Schmach zu gedenken, reite ich dir; sein Kreuz auf dich zu nehmen,
heiße ich dich; feilten Tod zu rächen, ermahne ich dich!"
Als so alles feierlich vollzogen unb auch die Messe gelesen worden war,
rannte der neue Ritter unter dem Schalle der Posaunen, Pauken und trom¬
peten dreimal im Lanzenspiel gegen den Sohn des Königs von Böhmen, und
daraus beendete er mit einem Turnierkampf mit blinkenden Schwertern feine