16 Jordanes: Attila und die Schlacht auf der Katalaunischen Ebene.
Als man am folgenden Morgen bei Sonnenaufgang die angehäuften Leichen
auf den Feldern erblickte und sah, daß die Hunnen keinen Ausfall wagten,
hielt man den Sieg für gewonnen; aber man wußte, daß Attila nur nach
einer großen Niederlage fliehe. Jedoch tat er nicht wie einer, der danieder¬
geworfen ist, sondern unter Waffenlärm ließ er die Hörner blasen und drohte
mit einem Angriff, wie ein Löwe, der den Jagdfpeer in der Seite trägt,
am Eingänge feiner Höhle auf und ab geht und nicht wagt aufzuspringen,
sondern unaufhörlich mit feinem Gebrüll die Nachbarschaft schreckt. So
ängstigte der kriegerische König seine Besieger noch, als er eingeschlossen
war. Darum kamen Goten und Römer zusammen und berieten, was anzu¬
fangen sei betreffs des überwundenen Attila. Man beschloß, ihm mit einer
Belagerung zuzusetzen, da er keine Getreidevorräte hatte und von ihren
Bogenschützen, die in der Lagerumzäunung aufgestellt waren, der Zutritt
durch einen Hagel von Pfeilen verhindert wurde. Man sagt aber, der
König, der auch in der verzweifeltsten Lage feine Seelenstärke bis zuletzt
bewahrte, habe aus Pferdefätteln einen Scheiterhaufen errichten lassen und,
falls die Feinde eindringen sollten, sich in die Flammen stürzen wollen,
damit niemand die Freude haben solle, ihn zu verwunden, oder er, der
Beherrscher so vieler Völker, in die Hände feiner Feinde fiele.
Während dieses Aufenthalts mit der Belagerung vermißten die West¬
goten ihren König, die Söhne den Vater und wunderten sich über seine
Abwesenheit, da ihr Kampf doch von glücklichem Erfolg begleitet gewesen war.
Und da sie ihn nach längerem Suchen mitten in den dichtesten Haufen der
Leichen, wie es tapferen Männern geziemt, gefunden hatten, ehrten sie fein
Andenken mit Liedern und trugen ihn angesichts der Feinde fort. Da sah
man die Scharen der Goten, wie sie noch während der Wut des Kampfes
mit ihren unharmonischen Stimmen der Leiche die letzte Ehre erwiesen.
Tränen wurden vergossen, aber solche, bie tapferen Männern nachgeweint
zu werden pflegen. Denn es war ein Tod, doch ein ruhmvoller, wie auch
die Hunnen bezeugten, so daß man glaubte, der Feinde Stolz würde sich
beugen, wenn sie die Bestattung eines so großen Königs mit allen feinen
Ehrenzeichen untätig ntitanfchauen müßten. Die Goten aber erfüllten die
Pflicht der Leichenfeier gegen Theodorich und trugen unter Waffenschall den
hehren König fort. Der Held Thorismund folgte hinter den sterblichen
Resten des heißgeliebten, hochberühmten Vaters dem Leichenzug, wie es für
den Sohn sich schickt. Nachdem dies beendet war, befragte er, ergriffen
von Schmerz über seine Verwaisung und vom Drange der Tapferkeit, die
ihn auszeichnete, da er an den übrigen Hunnen seines Vaters Tod zu rächen
strebte, den Patrizius Aetius als den älteren und an Erfahrung gereifteren
Mann darüber, was unter den jetzigen Umständen zu tun fei. Der aber
fürchtete nach völliger Vernichtung der Hunnen Unterdrückung des römischen