Full text: Quellenbuch für den Geschichtsunterricht

Denkschrift des Bundestagsgesandten Otto v. Bismarck. 
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144. Aus der Denkschrift des Bundestagsgesandten Otto 
v. Bismarck über die Notwendigkeit der Jnanguriernng' 
einer selbständigen preußisch-deutschen Politik. März 1858. 
Aus: Poschinger, Preußen im Bundestag 1851 — 1859. Leipzig 1882. 
3. Teil, S. 487. 
Bis zum Jahre 1848 wurde der Deutsche Bund, welches auch die 
theoretischen Ansprüche an ihn sein mochten, tatsächlich doch nur als ein 
Schutzverein der deutschen Regierungen gegen Krieg und Revolution be¬ 
handelt. Österreich ließ damals im allgemeinen die preußische Politik m 
Deutschland gewähren und nahm als Kaufpreis für diese Konzession die 
Unterstützung Preußens in europäischen Fragen entgegen; in Deutschland 
begnügte sich das Wiener Kabinett, nach Möglichkeit dafür zu sorgen, daß 
Preußen den ihm überlassenen Spielraum nur innerhalb gewisser Grenzen 
nutzbar mache. Zu diesem Behuf wurde insbesondere der Geschäftskreis 
des Bundes auf wenige und verhältnismäßig unwichtige Angelegenheiten 
beschränkt, das Widerspruchsrecht und die Unabhängigkeit der einzelnen 
Regierungen aber mit Schonung gepflegt; Angelegenheiten, über welche 
Österreich und Preußen nicht einverstanden waren, gelangten nicht zur 
Verhandlung; eine aus den Protokollen ersichtliche Meinungsverschiedenheit 
beider Großmächte gehörte zu den Seltenheiten; ein offener Streit ihrer 
beiden Vertreter in den Sitzungen war etwas Unerhörtes nnd wurde als 
Gefahr für das Bestehen des Bundes unter allen Umständen vermieden. 
Auch mit kleineren Bundesregierungen, wenn sie nicht etwa einer Be¬ 
günstigung liberaler Bestrebungen verdächtig waren, wurde lieber jahre¬ 
lang verhandelt, als daß man ihnen durch Majoritätsbeschlüsse Zwang an¬ 
getan hätte. 
Der Gedanke, daß wichtige Meinungsverschiedenheiten durch Majori¬ 
tätsbestimmungen am Bunde zur Entscheidung gebracht werden könnten, 
lag so fern, daß das Wiener Kabinett den Präsidialgesandten nur mit 
langen Unterbrechungen in Frankfurt anwesend sein und die Vertretung 
der österreichischen Interessen auf Jahr und Tag in den Händen des 
preußischen Gesandten ließ. Es begnügte sich damit, dem letzteren in der 
Person des noch fungierenden Kgl. Sächsischen Gesandten einen Beobachter 
zur Seite zu stellen. . . . 
Ein ganz anderes Bild gewähren die Verhandlungen am Bundes¬ 
tage seit der Reaktivierung2 im Jahre 1851. Der Fürst Schwarzenberg 
nahm den Plan auf, die Hegemonie über Deutschland, zu welcher Preußen 
durch die konstituierenden Versammlungen unb die Unionsversuche nicht 
hatte gelangen können, für Österreich burch bie Mittel zu gewinnen, welche 
1 Inaugurieren — einsetzen. 2 Reaktivieren — wieder in Tätigkeit setzen.
	        
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