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Die Verfassung des Deutschen Reiches.
Art. 27. Der Reichstag prüft die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet
darüber. Er regelt seinen Geschäftsgang und seine Disziplin durch eine Geschäftsordnung
und erwählt seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten und Schriftführer.
Art. 28. Der Reichstag beschließt nach absoluter Stimmenmehrheit. Zur Gültig¬
keit der Beschlußfassung ist die Anwesenheit der Mehrheit der gesetzlichen Anzahl der
Mitglieder erforderlich.
An. 29. Die Mitglieder des Reichstages sind Vertreter des gesamten Volkes und
an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden.
Art. 30. Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer Zeit wegen seiner
Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes getanen Äußerungen gerichtlich
oder disziplinarisch verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung
gezogen werden.
Art. 31. Ohne Genehmigung des Reichstages kann kein Mitglied desselben
während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung
gezogen oder verhaftet werden, außer wenn es bei Ausübung der Tat oder im Laufe des
nächstfolgenden Tages ergriffen wird. Auf Verlangen des Reichstages wird jedes Straf¬
verfahren gegen ein Mitglied desselben und jede Untersuchungs- oder Zivilhast für die
Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben.
Art. 32. Die Mitglieder des Reichstages dürfen als solche keine Besoldung be¬
ziehen. Sie erhalten 3000 Ms. Aufwandsentschädigung. (Gesetz vom 21. 5. 1906.)
VI. Zoll- und Handelswesen.
Art. 33. Deutschland bildet ein Zoll- und Handelsgebiet, umgeben von gemein¬
schaftlicher Zollgrenze . . .
Alle Gegenstände. welche im freien Verkehr eines Bundesstaates befindlich sind,
können in jeden anderen Bundesstaat eingeführt und dürfen in letzterem einer Abgabe
nur insoweit unterworfen werden, als daselbst gleichartige inländische Erzeugnisse einer
inneren Steuer unterliegen.
Art. 35. Das Reich ausschließlich hat die Gesetzgebung über das gesamte Zoll-
wesen, über die Besteuerung des im Bundesgebiete gewonnenen Salzes und Tabaks,
bereiteten Branntweins und Bieres und aus Rüben oder anderen inländischen Erzeug¬
nissen dargestellten Zuckers und Sirups . . .
In Bayern, Württemberg und Baden bleibt die Besteuerung des inländischen
Branntweins und Bieres der Landesgefetzgebung vorbehalten . . .
Art. 36. Die Erhebung und Verwaltung der Zölle und Verbrauchssteuern (Art. 35)
bleibt jedem Bundesstaate, soweit derselbe sie bisher ausgeübt hat, innerhalb seines Gebietes
überlassen.
Der Kaiser überwacht die Einhaltung des gesetzlichen Verfahrens durch Reichs¬
beamte, welche er den Zoll- oder Steuerämtern und den Direktivbehörden der einzelnen
Staaten, nach Vernehmung des Ausschusses des Bundesrates für Zoll- und Steuerwesen,
beiordnet.
Art. 38. Der Ertrag der Zölle und der anderen in Art. 35 bezeichneten Abgaben,
letzterer, soweit sie der Reichsgesetzgebung unterliegen, fließt in die Reichskasse . . .
VII. Eisenbahnwesen.
Art. 41. Eisenbahnen, welche im Interesse der Verteidigung Deutschlands oder
im Interesse des gemeinsamen Verkehrs für notwendig erachtet werden, können kraft eines
Reichsgesetzes auch gegen den Widerspruch der Bundesglieder, deren Gebiet die Eisenbahnen
durchichneiden, unbeschadet der Landeshoheitsrechte, für Rechnung des Reiches angelegt
oder an Privatunternehmer zur Ausführung konzessioniert und mit dem Expropriations¬
rechte ausgestattet werden.