Nithard: Die Straßburger Eide. 842.
39
12. Die Straßburger Eide. 842.
nitfyatbs1 vier Bücher Geschichten.
Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit. 2. Gesamtausgabe. Leipzig, Dyk. 1888.
20. Bd. S. 51.
Am 14. Februar 842 kamen Ludwig (der Deutsche) und Karl (der
Kahle) in der Stadt, welche sonst Argentaria genannt wurde, jetzt aber beim
Volke Straßburg heißt, zusammen und schwuren die Eide, welche unten ver¬
zeichnet sind, Ludwig in romanischer, Karl in deutscher Sprache. Und ehe
sie schwuren, redeten sie so das versammelte Volk, der eine in deutscher,
der andere in romanischer Sprache an. Ludwig aber als der ältere begann
und sprach: „Ihr wißt, wie oft Lothar mich und diesen meinen Bruder nach
dem Tode unseres Vaters verfolgt und bis zur gänzlichen Vernichtung zu
verderben gesucht hat. Da aber weder die brüderliche Liebe noch christliche
Gesinnung, noch irgend ein Vernunftgrund hat bewirken können, daß unter
gerechten Bedingungen Friede zwischen uns herrsche, haben wir endlich
gezwungen unsere Sache dem Gerichte des allmächtigen Gottes übergeben,
um nach seiner Entscheidung mit dem zufrieden zu sein, was einem jeden
Zuerteilt würde. Aus diesem Kampfe sind wir, wie ihr wißt, durch Gottes
Barmherzigkeit als Sieger hervorgegangen; er aber ist besiegt worden und
ist mit den ©einigen, wohin ein jeder vermochte, geflohen. Aber von brüder¬
licher Liebe getrieben und aus Erbarmen mit dem christlichen Volke haben
wir jene nicht verfolgen, noch vernichten wollen, sondern haben ihn (Lothar)
jetzt, wie auch schon vorher, aufgefordert, daß wenigstens nun einem jeden
sein Recht gewährt werden möge. Darauf aber, nicht zufrieden mit dem
göttlichen Spruch, hört er nicht auf, mich unb biefen meinen Bruder wiederum
mit feindlicher Macht zu verfolgen, und richtet unsere Volker mit Feuer,
Raub und Mord zugrunde. Deshalb sind wir jetzt von der Not gedrungen
zusammengekommen, und da wir glauben, baß ihr cm unserer bestänbigen
Treue unb unveränderlichen brüderlichen Liebe zweifelt, haben wir beschlossen,
diesen Eid zwischen uns in eurer Gegenwart zu schworen. Und dies tun
wir, nicht von irgend welcher ungerechten Begierde verleitet, sondern damit
wir, wenn Gott uns mit eurem Beistand Ruhe gibt, sichere Bürgschaft für
das gemeine Beste erlangen. Wenn ich aber, was sern sei, den Eid, welchen
ich meinem Bruber schworen werbe, zu brechen mich vermessen sollte, so
spreche ich einen jeben von euch vom Gehorsam unb bem Eibe, welchen ihr
mir geschworen habt, los unb lebig."
1 Graf Nithard war ein Sohn des Angilbeit, eines Vertrauten und Freundes
von Karl dem Großen, und der Berchta, der Tochter dieses Kaisers. Er hatte am Hofe
Karls eine sehr sorgfältige Erziehung genossen. Später war er der ständige Begleiter
Karls des Kahlen, dem er als Staatsmann und Feldherr diente. Im Aufträge Karls
schrieb er seine durch Wahrheitsliebe, einsichtiges Urteil und treffende Kürze ausgezeichneten
„Geschichten". Sie reichen vom Tode Karls des Großen bis zum Frühjahr 843.