Dichtung
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Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,
Was, von Menschen nicht gewußt
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.
Goethe ^„Römische Elegien").
Froh empfind' ich mich nun auf klassischem Boden begeistert;
Vor- und Mitwelt spricht lauter und reizender mir.
Hier befolg' ich den Rat, durchblättre die Werke der Alten
Mit geschäftiger Hand, täglich mit neuem Genuß.
Aber die Nächte hindurch hält Amor mich anders beschäftigt;
Werd' ich auch halb nur gelehrt, bin ich doch doppelt beglückt.
O wie fühl' ich in Rom mich so froh! gedenk ich der Zeiten,
Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing,
Trübe der Himmel und schwer auf meine Scheitel sich senkte,
Färb- und gestaltlos die Welt um den Ermatteten lag
Und ich über mein Ich, des unbefriedigten Geistes
Düstre Wege zu spähn, still in Betrachtung versank.
Nun umleuchtet der Glanz des helleren Äthers die Stirne;
Phöbus rufet, der Gott, Formen und Farben hervor.
Sternhell glänzet die Nacht, sie klingt von weichen Gesängen,
Und mir leuchtet der Mond Heller als nordischer Tag.
Goethe ^„Die Wahlverwandtschaften").
(Der Baron Eduard hat sich nach vielen Jahren mit seiner Jugend-
geliebten Charlotte verheiratet. Beide sind davon innerlich nicht befriedigt.
Zur Gesellschaft wird der Hauptmann, ein Freund Eduards, aufs Schloß
geladen; bald folgt Ottilie, die Nichte Charlottens. Charlotte fühlt sich zu
dem Hauptmann und Eduard zu Ottilie hingezogen. Eines Abends wird
eine Kahnpartie gemacht; nur Ottilie ist zu Hause geblieben, um für Eduard
ein Aktenstück abzuschreiben.)
Der Hauptmann stand schon im Hinterteile des Kahns und
hatte ein Ruder ergriffen. Charlotte stieg ein, Eduard gleich-
falls und faßte das andere Ruder; aber als er eben im Ab-
stoßen begriffen war, gedachte er Ottiliens, gedachte, daß ihn
diese Wasserfahrt verspäten, wer weiß erst, wann zurückfuhren