Kunst
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kann es nicht! Darum, Freunde, verzeiht, wenn ihr mich zurück-
weichen sehen werdet, wo ich mich so gerne unter euch mische.
Doppelt wehe tut mir mein Unglück, indem ich dabei verkannt
werden muß. Für mich darf Erholung in menschlicher Gesell-
schaft, feinere Unterredungen, wechselseitige Ergießungen nicht
statthaben ... Welche Demütigungen, wenn jemand neben mir
stund und von weitem eine Flöte hörte und ich nichts hörte,
oder jemand den Hirten singen hörte und ich auch nichts
hörte! Solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung:
es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben. — Nur
sie, die Kunst, sie hielt mich zurück! Ach, es dünkte mir un-
möglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervor-
gebracht, wozu ich mich aufgelegt fühle. Und so fristete ich
dieses elende Leben — wahrhaft elend, einen so reizbaren Körper,
daß eine etwas schnelle Veränderung mich aus dem besten Zu-
stände in den schlechtesten versetzen kann. Geduld — so heißt
es, sie muß ich nun zur Führerin wählen! Ich habe es. —
Dauernd, hoffe ich, soll mein Entschluß sein, auszuharren, bis
es den unerbittlichen Parzen gefällt, den Faden zu brechen.
Vielleicht nicht: ich bin gefaßt. — Schon in meinem achtund-
zwanzigsten Jahre gezwungen, Philosoph zu werden, ist es nicht
leicht, für den Künstler schwerer als für irgend jemand. — Gott¬
heit, du siehst herab auf mein Inneres, du kennst es, du weißt,
daß Menschenliebe und Neigung zum Wohltun darin hausen!
O Menschen, wenn ihr einst dieses leset, so denkt, daß ihr ein
Unrecht getan, und der Unglückliche, er tröste sich, einen seines-
gleichen zu finden, der, trotz allen Hindernissen der Natur, doch
noch alles getan, was in seinem Vermögen stand, um in die
Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu
werden^)." — Und so ist er seines Weges gegangen unverwandt,
dieser echt moderne Märtyrer und Held: und unter seinen Fuß-
tritten sind Blumen hervorgesproßt, wilde Blumen, Blumen
aller Jahreszeiten, Blumen mit herbbizarren Kelchen, Passions-
blumen ohne Zahl.
1) Aus dem Heiligenstadter Testamente Beethovens vom 6. Ottober
1802.
Zeugnisse.
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