Full text: Zeugnisse zum deutschen Aufstieg

146 Zeugnisse zum deutschen Aufstieg. IV/ 1780—1815 
29^°3i'f. Nobert Schumann [„Reue Bahnen 
Es sind Jahre verflossen, — beinahe ebensoviele, als ich der 
früheren Redaktion dieser Blätter widmete, nämlich zehn, — daß 
ich mich auf diesem an Erinnerungen so reichen Terrain einmal 
hätte vernehmen lassen. Oft, trotz angestrengter produktiver 
Tätigkeit, fühlte ich mich angeregt; manche neue, bedeutende 
Talente erschienen, eine neue straft der Musik schien sich an- 
zukündigen, wie dies viele der hochaufstrebenden Künstler der 
jüngsten Zeit bezeugen, wenn auch deren Produktionen mehr 
einem engeren Kreise bekannt sind2). Ich dachte, die Bahnen 
dieser Auserwählten mit der größten Teilnahme verfolgend, es 
würde und müsse nach solchem Vorgang einmal plötzlich einer 
erscheinen, der den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise 
auszusprechen berufen wäre, einer, der uns die Meisterschaft 
nicht in stufenweiser Entfaltung brächte, sondern, wie Minerva 
gleich vollkommen gepanzert aus dem Haupte des Kronion 3) 
spränge. Und er ist gekommen, ein junges Blut, an dessen 
Wiege Grazien und Helden Wache hielten. Er heißt Johannes 
Brahms, kam von Hamburg, dort in dunkler Stille schaffend, 
aber von einem trefflichen und begeistert zutragenden Lehrers 
gebildet in den schwierigsten Satzungen der Kunst, mir kurz 
vorher von einem verehrten bekannten Meister empfohlen. Er 
trug, auch im Äußern, alle Anzeichen an sich, die uns ankün- 
digen: das ist ein Berufener. Am Klavier sitzend, fing er an 
wunderbare Regionen zu enthüllen. Wir wurden in immer 
1) Dieser Aussatz erschien in der „Neuen Zeitschrift für Musik" im 
Oktober 1853 (Simon), also kurz vor dem Ausbruch des Wahnsinns 
(Februar 1854), auf den der Tod am 29. Juli 1856 folgte. 
2) (Anm Schumanns.) Ich habe hier im Sinn: Joseph Joachim, 
Ernst Naumann, Ludwig Norman, Waldemar Bargiel, 
Theodor Kirchner, Julius Schaff er, Albert Dietrich, des 
tiefsinnigen, großer Kunst beflissenen geistlichen Tonsetzers C. F. WiIsing 
nicht zu vergessen. Als rüstig schreitende Vorboten wären hier auch Niels 
W. Gade, C. F. Mangold, Robert Franz und St. Heller zu 
nennen. 
3) (spr. krönten) Sohn des Kronos = Zeus. 
4) Eduard Marxsen in Hamburg. (Sch.)
	        
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