148 Zeugnisse zum deutschen Aufstieg. IV/ 1780—1815
Vernunft ihm vorschreibt — ist die höchste und proportionier-
lichste^) Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser
Bildung ist Freiheit die erste und unerläßliche Bedingung.
Allein außer der Freiheit erfordert die Entwicklung der mensch-
lichen Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Freiheit eng
Verbundenes, — Mannigfaltigkeit der Situation ^). Auch der
freieste und unabhängigste Mensch, in einförmige Lagen versetzt,
bildet sich minder aus.
Der Zweck des Staates kann ein doppelter sein: er kann
Glück befördern oder nur Übel verhindern wollen, und im
letzteren Fall Übel der Natur oder Übel der Menschen. Schränkt
er sich auf das letztere ein, so sucht er nur Sicherheit, und diese
Sicherheit sei es mir erlaubt, einmal allen übrigen Zwecken,
unter dem Namen des positiven Wohlstandes vereint, entgegen-
zusetzen. Auch die Verschiedenheit der vom Staat angewendeten
Mittel gibt seiner Wirksamkeit eine verschiedene Ausdehnung.
Er sucht nämlich seinen Zweck entweder unmittelbar zu erreichen,
sei's durch Zwang — befehlende und verbietende Gesetze,
Strafen — oder durch Ermunterung und Beispiel- oder mit
allen, indem er entweder der Lage der Bürger eine demselben
günstige Gestalt gibt und sie gleichsam anders zu handeln hin-
dert, oder endlich, indem er sogar ihre Neigung mit demselben
übereinstimmend zu machen, auf ihren Kopf oder ihr Herz zu
wirken strebt. Im ersten Falle bestimmt er zunächst nur ein-
zelne Handlungen; im zweiten schon mehr die ganze Handlungs-
weise; und im dritten endlich Charakter und Denkungsart. Auch
ist die Wirkung der Einschränkung im ersten Falle am kleinsten,
im zweiten größer, im dritten am größten, teils weil auf Quellen
gewirkt wird, aus welchen mehrere Handlungen entspringen,
teils weil die Möglichkeit der Wirkung selbst mehrere Veranstal-
hingen erfordert.
Wenn ich aus dem ganzen bisherigen Räsonnement^) das
1) entsprechendste.
2) Lagen, Lebenslagen, Möglichkeiten.
3) Überlegung.