Full text: Zeugnisse zum deutschen Aufstieg

Philosophie,Weltanschauung,Wissenschaft,Erziehung 203 
Charles Darwin im Jahre 1859 durch sein berühmtes Werk 
„Über die Entstehung der Arten" den Anstoß gab, hat während 
des kurzen seitdem verflossenen Zeitraumes eine beispiellose Tiefe 
und Ausdehnung gewonnen. Allerdings ist die in jenem Werke 
dargestellte naturwissenschaftliche Theorie (gewöhnlich kurzweg die 
Darwinsche Theorie oder der Darwinismus genannt) nur ein 
Bruchteil einer viel umfassenderen Wissenschaft, nämlich der uni- 
versalen Entwicklungslehre, welche ihre unermeßliche Bedeutung 
über das ganze Gebiet aller menschlichen Erkenntnis erstreckt. 
Allein die Art und Weise, in welcher Darwin die letztere 
durch die erstere fest begründet hat, ist so überzeugend, und die 
entscheidende Wendung, welche durch die notwendigen Folge- 
schlüsse jener Theorie in der gesamten Weltanschauung der Mensch- 
heit angebahnt worden ist, mutz jedem tiefer denkenden Menschen 
so gewaltig erscheinen, daß man ihre allgemeine Bedeutung nicht 
Hoch genug anschlagen kann. Ohne Zweifel muß diese unge- 
heure Erweiterung unseres menschlichen Gesichtskreises unter 
allen den zahlreichen und großartigen wissenschaftlichen Fort- 
schritten unserer Zeit als der bei weitem folgenschwerste und 
wichtigste angesehen werden. 
^„Natürliche und übernatürliche Schöpfungsgeschichten."^ 
Die von Darwin ausgebildete Entwicklungstheorie, welche 
wir hier als natürliche Schöpfungsgeschichte zu behandeln haben 
und welche bereits von Goethe und Lamarck *) angebahnt 
wurde, muß bei folgerichtiger Durchführung schließlich notwendig 
ZU der monistischen2) oder mechanistischen3) (kausalen) Welt¬ 
1) berühmter französischer Naturforscher, 1744—1829. Seine „Philo¬ 
sophische Zoologie" ist in Kröners Volksausgabe erschienen (1.20 Jl). 
2) Die Weltanschauung, bei der alles auf eins, nämlich auf die Sub- 
stanz, zurückgeführt wird. 
3) Die Weltanschauung, die alles auf das Gesetz von Ursache und 
Wirkung zurückführt („jede Wirkung hat eine Ursache", d. h. es gibt nichts 
Übernatürliches, es geht alles mechanisch, maschinenmäßig); daher heitzt sie 
auch „kausal" (lat. causa, Ursache).
	        
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