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93. Ludwig I. von Bayern als Erzieher seines Volkes.
93. Ludwig I. von Bayern als Erzieher seines Volkes.
Don Karl Theodor von Heigel. *)
Das Wort Goethes, daß „das Große doch wieder nur von bedeutenden
Menschen richtig erkannt und beurteilt werden" sönne, gilt von den Lebenden.
Der Richter über die Toten, ein strenger, aber gerechter Richter ist die Zeit.
Ein Jahrhundert ist seit der Geburt des Fürsten, dem mein Festgruß
gilt, vergangen, ein Jahrhundert, reich an blutigen Kriegen und glorreichen
Siegen, an politischen Ereignissen, welche die Wiedergeburt von Nationen zur
Folge hatten, an Errungenschaften der Wissenschaft und Technik, welche die Welt
aus den Angeln hoben, aber sein Stern leuchtet Heller denn je, Bayerns Ludwig
ist nicht nur ein Name, sondern lebt heute jenes schönste Dasein: lebt in den
Idealen des deutschen Volkes fort.
Mit dem leidenschaftlichen Herzen eines Künstlers verband er einen
klaren Verstand, mit Begeisterung verband er Besonnenheit, und seine Nerven
waren ehern wie sein Wille. Vor allem hatte er bei seiner ungeheuren und
verschiedenartigen Tätigkeit immer feste und hohe Ziele. Nicht allein was er
gefchaffen, ist bewundernswert, sondern auch wie und warum er es schuf.
Nero baute Rom nach dem Brande prächtiger wieder auf. Die Geschichte weiß
ihm keinen Dank dafür. Denn daß Macht vor Recht geht, mag man behaupten
und beweisen, doch niemals hörte man sagen, daß Macht vor Größe geht!
Ein Zug vou Größe aber ist das bezeichnende Merkmal seines Willens
und Schaffens, seines Lebens vom Jünglings- bis zum Greiseualter.
Nur einige Beispiele!
Während Napoleon die entscheidenden Schläge gegen das alte römische
Kaisertum deutscher Nation führt, muß Prinz Ludwig in seiner Geburtsstadt
Straßburg in der Umgebung Josephinens weilen. Schon war für ihren Eugen
des Prinzen Schwester als Braut ausersehen und die bayerischen Truppen
fochten unter den französischen Adlern. Deshalb überhäuft die Gattin Napoleons
den Prinzen mit Artigkeit; sie und ihr Hof huldigen dem jungen Fürstenblut;
Ludwig darf nur wollen, nur ein wenig weniger gerade sein und er ist der
Erste bei den glänzenden Siegesfesten. Was sagt er da, so daß die Ergebenen
Josephinens, seine Schmeichler, es hören können: „Das sollte mir die teuerste
Siegesfeier sein, wenn diese Stadt, in der ich geboren bin, wieder eine deutsche
Stadt sein würde!" Ist das nicht selbstlos, edel, groß gedacht?
Als Kronprinz muß er, dem Vater gehorsam, unter den Franzosen
kämpfen. Er gehorcht und zeichnet sich bei Pultusk durch Unerschrockenheit
und Umsicht aus. Aber er hat keine Freude an diesem Lorbeer. Er muß im
') Festrede, gehalten am 29. Jnli 1888 im Münchener Rathaus zur Begrüßung der
Festgäste der Zentenarfeier Ludwigs I. Abgedruckt in „Quellen und Abhandlungen zur
neueren Geschichte Bayerns". Neue Folge S. 409 u. ff- München 1890, M. Rieger.